Cemil Bayık, Ko-Vorsitzender der Gemeinschaft der Gesellschaften Kurdistans (KCK)
Im ersten Teil der Analyse Cemil Bayıks ist der Fokus auf das etatistische Paradigma als Ursache im Nahost-Konflikt gerichtet, während die Analyse im vorliegenden Teil die Rolle religiöser Ideologie und des Liberalismus im Nahost-Konflikt sowie die Rolle der Türkei darin beleuchtet um schließlich Notwendigkeiten im Kampf für die Freiheit aufzuzeigen.
Teil 2
Der israelisch-palästinensische Konflikt, der durch die Angriffe der Hamas wieder auf die Tagesordnung gekommen ist, ist derzeit Gegenstand vieler Diskussionen. Die einen halten die Methoden der Hamas für falsch und verurteilen sie, die anderen halten sie auch für falsch, behaupten aber, dass die Politik Israels die Ursache sei. Mit intensiver Desinformation wird jede Argumentation auf den einen Moment des Hamas-Angriffs fokussiert und damit die Realität verzerrt.
Um den Einfluss der Sowjetunion auf den Nahen Osten einzudämmen und die demokratischen Volksbewegungen zu schwächen, entwickelten die USA eine Strategie unter Einbeziehung religiöser Ideologie und unterstützten die Bewegungen, die sich unter Berufung auf solchen Ideologien entwickelten. Diese Politik wurde 1977 unter dem Namen »Green Belt Project« offiziell und in den folgenden Jahren von den USA aufgebaut. Die Umsetzung dieser Politik wurde anlässlich der sowjetischen Intervention in Afghanistan begonnen und bestand darin, auf religiöser Ideologie basierende Bewegungen mit dem Ziel der Schwächung der sozialistischen und demokratischen Bewegungen zu entwickeln und zu unterstützen. Ziel war es, den sowjetischen Einfluss im Nahen Osten zu schwächen. Denn in dem Maße, wie sich sozialistische und demokratische Volksbewegungen entwickelten, nahm der Einfluss der USA und der NATO im Nahen Osten ab. Die Sowjetunion verstärkte ihren Einfluss im Nahen Osten, indem sie diese sozialistischen und demokratischen Bewegungen unterstützte. Dagegen griffen die USA, die NATO und andere Mächte der kapitalistischen Moderne auf die Unterstützung religiöser Ideologien im Nahen Osten zurück. Deren Ausbreitung und der Aufbau der religiösen Bewegungen im Nahen Osten erfolgten vor diesem Hintergrund.
Die Al-Qaida- und Taliban-Bewegungen in Afghanistan, die später als radikale religiöse Gruppen bekannt wurden, waren die Organisationen, die von den USA und der NATO in diesem Zusammenhang unterstützt und aufgebaut wurden. Osama bin Laden wurde als Mitglied der saudischen Königsfamilie von den USA gebeten, eine Organisation zu gründen, um Einfluss auf die Bevölkerung zu nehmen; und er wurde nach Afghanistan geschickt, um zusammen mit den Taliban gegen die Sowjets zu kämpfen. Die Taliban wurden in Pakistan von der CIA gegründet, ausgebildet und kämpften in Afghanistan gegen die Sowjetunion, die sich schließlich aus Afghanistan zurückziehen musste. Die genannten Organisationen übernahmen die staatliche Verwaltung in Afghanistan. Al-Qaida und die Taliban sind die bekanntesten Bewegungen, aber alle religiösen Bewegungen im Nahen Osten wurden von den USA und der NATO im Rahmen dieser Politik begünstigt, beeinflusst und unterstützt. Außer in Pakistan und Afghanistan haben sich auch im Iran, Irak, Syrien, Kurdistan, der Türkei, Libanon, Palästina, in Ägypten und in anderen nordafrikanischen Ländern Bewegungen entwickelt, die auf einer religiösen Ideologie basieren. Mit dem Zusammenbruch der Sowjetunion und der Schwächung der sozialistischen Bewegungen in der Welt hatten diese religiös-ideologischen Bewegungen ihre Aufgabe erfüllt. Daher entwickelten die USA im Einklang mit dem globalen Kapital das Projekt des »Gemäßigten Islam«. Einige Bewegungen wie die Taliban, die die Staatsmacht an sich gerissen hatten, machten diesen Entwicklungsprozess nicht und blieben als unabhängige Macht bestehen, was sie zur Zielscheibe der USA machte.
In diesem Zusammenhang wurde die Hamas von den USA und Israel begünstigt und unterstützt, um die palästinensische Bewegung zu schwächen. Bekanntlich entwickelte sich die Hamas als Teil der Ikhwan-Bewegung. Die so genannte Ikhwan al-Muslim, auch Muslimbruderschaft, ist eine Organisation, die von den USA und der NATO unterstützt und beeinflusst wird. Wie andere religiöse Bewegungen hat auch die Ikhwan al-Muslimin Aktivitäten gegen den arabischen Nationalismus und die arabischen Unabhängigkeitsbewegungen wegen ihrer Beziehungen zur sozialistischen Bewegung unternommen; ihr Hauptziel war es, die Ausbreitung des Sozialismus zu verhindern.
Diese Bewegungen hatten keine Haltung gegen die USA, Israel und die NATO, sondern existierten durch deren Unterstützung. Die Hamas wurde von der CIA und dem Mossad als Ableger der Ikhwan-Bewegung in Palästina gepuscht um die palästinensische Bewegung zu schwächen. Das war ihre Aufgabe. Heute befindet sich die Hamas im Konflikt mit dem Staat Israel, weil ihr Auftrag erfüllt ist. Es verhält sich wie mit dem Konflikt zwischen Al-Qaida oder den Taliban und den USA. Die religiöse Ideologie wurde von den USA, Israel und der NATO vor dem Hintergrund eines bestimmten Zwecks gefördert. Nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion und der relativen Schwächung der demokratischen Volksbewegungen haben die religiös-ideologischen Bewegungen ihren Auftrag erfüllt und die ihnen zugewiesene Rolle verloren. Sie können nur im Einklang mit der Politik der Mächte handeln, mit denen sie im Konflikt stehen: den USA, Israel und der NATO. Denn diese Bewegungen wurden von Geheimdiensten begünstigt, auch die Hamas. Deshalb kann die Hamas keine Rolle für die Befreiung und Freiheit des palästinensischen Volkes spielen, auch in Zukunft nicht.
Im Rahmen des »Green Belt Project« wurden auch in Kurdistan Organisationen gegründet, die auf einer religiösen Ideologie basieren. Als sich in Nordkurdistan eine Freiheitsbewegung entwickelte, wurde eine religiöse Gegenbewegung namens »Hisbollah« gegen die PKK und die Revolution in Kurdistan gegründet. Diese Struktur wurde vom Staat selbst geleitet.
Es ist bekannt, welche Rolle diese Organisation »Hisbollah« spielte und wie sie Tausende von kurdischen Patriot:innen massakrierte. Ihre Struktur wird nach wie vor vom Staat genutzt. Seit die Türkei Mitglied der NATO ist, werden religiöse Bewegungen vom Staat selbst ins Leben gerufen und gepflegt. Wie und zu welchem Zweck religiös-ideologische Organisationen im Nahen Osten gegründet werden, lässt sich am besten anhand der Situation in der Türkei verstehen. Dort wurden offiziell unter dem Namen »Antikommunistische Vereinigungen« religiös-weltanschauliche Organisationen organisiert. Die Kosten trug die CIA. Die Clique, die die Türkei heute regiert, einschließlich Tayyip Erdoğan, besteht aus Personen, die in diesen Organisationen aktiv sind oder in ihnen ausgebildet wurden. Fethullah Gülen ist einer der Gründer der antikommunistischen Vereinigungen. Mit dem Militärputsch von 1980 wurde die kemalistische Ideologie durch diese Ideologie ersetzt. Seitdem ist die Bewegung nicht mehr eine vom Staat unterstützte und gelenkte Bewegung, sondern eine Bewegung, die den Staat selbst lenkt. Dieser Zusammenhang ist wichtig, um die Entwicklung der auf einer religiösen Ideologie basierenden Bewegung in der Türkei zu kennen.
Der Oslo-Prozess war eine zur Liquidierung der palästinensischen Bewegung gestellte Falle
Der Liberalismus hat die palästinensische Bewegung geschwächt. Er wurde innerhalb der palästinensischen Bewegung durch die Einstellung des Kampfes und die Vorstellung, Ergebnisse durch den Einsatz von Diplomatie erzielen zu können gefördert, wodurch die palästinensische Bewegung ihre Wirksamkeit verlor. Während sich die Aufmerksamkeit auf die Diplomatie konzentrierte, wurden viele führende Kader der Bewegung von Israel ins Visier genommen. Je mehr der Kampf in den Hintergrund trat und je mehr die Bewegung durch die Erschießung von Kadern geschwächt wurde, desto stärker wurde die Diplomatie in Anspruch genommen. Die Entwicklung, die zum Oslo-Prozess wurde, war jedoch eine Falle, die der Liquidierung der palästinensischen Bewegung Vorschub leistete. Leider ist die palästinensische Führung in diese Falle getappt und hat der Sache großen Schaden zugefügt. Bekanntlich wurde Jassir Arafat im Hauptquartier in Ramallah eingesperrt und von Leuten umgeben, die die Lösung in der Anlehnung an die USA sahen. Anschließend wurde er vermutlich vergiftet.
Das liberale Abdriften der palästinensischen Bewegung hat zweifellos ideologische und politische Dimensionen. Nach der Auflösung des Realsozialismus haben Bewegungen, die sich auf eine linke, sozialistische und marxistische Ideologie gestützt hatten, ideologische Verirrungen erlebt. Die Sowjetunion selbst hat sich aus ideologischen Gründen aufgelöst, ohne dass es eine direkte Intervention von außen gab. In dieser Situation war zu erwarten, dass die Bewegungen, die sich an der Sowjetunion orientiert hatten, sich ähnlich entwickeln würden. Tatsächlich wurden die sozialistischen und demokratischen Bewegungen weltweit durch den Zusammenbruch der Sowjetunion in Mitleidenschaft gezogen. Abdullah Öcalan verhinderte ein solches Abdriften der PKK, indem er einen ideologischen Wandel und einen Paradigmenwechsel initiierte. Er übernahm auch die Führung des Kampfes für Gleichheit, Freiheit und Demokratie in der neuen Ära mit seinem Verständnis eines nicht-staatlichen Sozialismus, der auf Ökologie und Frauenbefreiung basiert, indem er sich von dem staatsorientierten Paradigma löste. Zweifellos hat Abdullah Öcalan diese ideologische Weiterentwicklung auf der Grundlage der Revolutionierung der Mentalität erarbeitet und ihr einen ideologisch-politischen Rahmen gegeben. Hätte eine solche Transformation in der palästinensischen Bewegung stattgefunden, wäre sie nicht in der derzeitigen Lage und in ihrem jetzigen Zustand. Nun muss es darum gehen, eine Transformation in Gang zu setzen, die nationalstaatliche Mentalität zu überwinden und die Mentalität der demokratischen Nation anzunehmen.
Der türkische Staat ist die Macht im Nahen Osten, der besonders von den vorhandenen Kräfteverhältnissen in der Region profitiert und darum auch am empfindlichsten auf Veränderungen reagiert. Er fürchtet, dass seine Position geschwächt werden könnte.
Diese Sorge ist jedoch nicht auf das Festhalten an einem Prinzip zurückzuführen. Vielleicht kann dieser Ansatz, von den vorhandenen Kräfteverhältnissen zu profitieren zu wollen, allen Staaten zugeschrieben werden; das Potenzial oder die Möglichkeit dazu ist jedoch nicht überall und für jeden Staat gleich. In der Türkei gibt es Bedingungen und geopolitische und geostrategische Gegebenheiten, die seine Möglichkeiten in dieser Hinsicht begünstigen. Ihre geopolitische Position gibt der Türkei Bedeutung. Seit seiner Gründung hat der türkische Staat auf der Grundlage dieser Position Politik gemacht und danach getrachtet, Unterstützung für seine Politik zu finden. Daraus hat er wichtige Ergebnisse erzielt.
In erster Linie war er in der Lage, seine Politik des Völkermords an der kurdischen Bevölkerung mit der Unterstützung von außen durchzuführen. Denn Grundlage der Politik des türkischen Staates ist der Völkermord an den Kurd:innen. Er hat seine Existenz darauf aufgebaut. Dass er diese Politik des Völkermords bis heute aufrechterhalten kann, war in der Vergangenheit und ist bis heute nur durch die Unterstützung ausländischer Mächte, insbesondere der USA und der NATO, möglich. Die ausländischen Mächte gewähren der Türkei diese Unterstützung zweifellos aufgrund ihrer geopolitischen Bedeutung. Eine der wichtigsten Mächte, die den türkischen Staat unterstützen, ist Israel.
Tatsächlich wurde die Türkei von den USA und der NATO so sehr unterstützt, weil sie eine positive Haltung gegenüber Israel einnimmt. Die Tatsache, dass diese Unterstützung auch heute noch anhält, hängt auch mit der Fortsetzung dieser Beziehungen zusammen. Daher ist die Unterstützung Israels für den türkischen Staat sehr wichtig.
Die Rolle Israels beim internationalen Komplott gegen Abdullah Öcalan zeigt diese Bedeutung deutlich auf. Denn das internationale Komplott ist die Unterstützung des türkischen Staates bei der Völkermordpolitik gegenüber den Kurd:innen auf höchster Ebene. Es beruhte auf einem us-amerikanisch-israelischen Plan, der in Koordination mit der NATO umgesetzt wurde.
Insofern sind die Beziehungen zu Israel für den türkischen Staat sehr wichtig. Die Verschlechterung dieser Beziehungen würde bedeuten, dass die Unterstützung, die der türkische Staat von ausländischen Mächten erhält, gefährdet wäre. Die gebremste Reaktion des türkischen Staates auf die israelischen Angriffe auf den Gazastreifen und das Ausbleiben weiterer Schritte sind in diesem Zusammenhang zu sehen. Es ist festzustellen, dass der türkische Staat über die Entwicklungen äußerst besorgt ist, was er auch deutlich zum Ausdruck bringt. Aber seine Reaktion ist sehr gemäßigt und schwach. Das ist ein Ausdruck der Politik und des Charakters des türkischen Staates. Einige Leute, die die Politik und den Charakter des türkischen Staates nicht kennen, erwarteten, dass Tayyip Erdoğan hart auf die Situation reagieren würde. Das tat er natürlich nicht. Da die Spezialkriegsführung in der Türkei sehr ausgeprägt ist, ist es schwierig, die Realitäten zu verstehen. Es gehört zu den Merkmalen des türkischen Staates, dass er sich sehr stark der Spezialkriegsführung bedient und mit ihren Mitteln die Wahrnehmung der Menschen beeinflusst. In den letzten Jahren, vor allem unter der faschistischen AKP-MHP-Regierung, hat diese Politik erheblich zugenommen.
Da ein Klima der Unterdrückung geschaffen wurde, das durch Nationalismus, Chauvinismus und Faschismus genährt wird, werden diese Bedingungen nicht offen und angemessen diskutiert. Die türkische öffentliche Meinung und die türkischen Intellektuellen sind in dieser Hinsicht sehr unzureichend. Der intensive Einsatz von Spezialkriegsführung und Propaganda ist ein Ergebnis davon und gleichzeitig Indikator für den geringen Wert, der der Gesellschaft beigemessen wird. Die Gesellschaft in der Türkei wird diesbezüglich nicht aufgeklärt und kann sich nicht aus dieser Lage befreien.
Nun wird ein Großteil der Gesellschaft denken, dass Tayyip Erdoğan die Zukunft des palästinensischen Volkes am Herzen liege und er sich für es einsetze, als wäre er selbst in Gaza. Es sind aber die Aktivitäten des Spezialkriegszentrums, die die Öffentlichkeit auf diese Weise denken lassen. Das wird von den Machthabern als Erfolg gesehen und dargestellt, aber in Wirklichkeit ist es für eine Gesellschaft kein Erfolg, sondern eine Niederlage.
Die Politik Israels gegen Palästina ist eine von der NATO verfolgte Strategie
Der türkische Staat wurde in einer Zeit gegründet, in der die Welt in zwei Pole geteilt war und sich die beiden Pole einander annäherten (1). Er hat mehr als jeder andere Staat von dieser Konstellation profitiert. Während Staatsgründungsprozesses hat er politisch gehandelt und von beiden Blöcken profitiert.
Als sich der Gegensatz zwischen den Polen in den 1930er Jahren verschärfte und der Zweite Weltkrieg begann, nahm der türkische Staat seinen Platz im Block der kapitalistischen Moderne ein, der von den Vereinigten Staaten angeführt wurde und später als NATO Gestalt annahm. Als die NATO gegründet wurde, wurde die Türkei Mitglied in dieser Organisation. Bekanntlich wurde die NATO zu der Macht, die die Weltpolitik bestimmte und entsprechende Strategien entwickelte. Auch die Gründung Israels wurde von den westlichen Mächten strategisch begünstigt. Die NATO ist das Zentrum, in dem die gesamte Politik des Nahen Ostens gestaltet wird. Die israelische Politik gegenüber Palästina ist also eine NATO-Strategie und wird von der NATO unterstützt. Ohne die Unterstützung der USA und der NATO wäre Israel nicht in der Lage, diese Politik zu betreiben. Genau wie die Politik des Völkermords an den Kurd:innen, wäre auch die Politik des Völkermords an den Palästinenser:innen ohne die Unterstützung der NATO nicht denkbar. Wie man sieht, sind sich der türkische Staat und Israel in vielerlei Hinsicht erstaunlich ähnlich.
Die Türkei profitiert von zwischenstaatlichen Widersprüchen, sowohl aufgrund ihrer geopolitischen Lage als auch weil sie Mitglied der NATO ist. Daher möchte die Türkei nicht, dass sich die Widersprüche zwischen den Staaten abschwächen, denn das würde ihre eigene Position schwächen. Einer der Widersprüche, von denen die Türkei profitiert hat, war der zwischen den USA und der Sowjetunion. Während des Kalten Krieges hat die Türkei von diesem Widerspruch in höchstem Maße profitiert. Sie setzte ihre Politik mit der vollen Unterstützung der NATO um.
Diese Unterstützung wurde auch nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion fortgesetzt. Denn die Welt trat in einen neuen Prozess ein, in den Dritten Weltkrieg, und die NATO bestand trotz des Zusammenbruchs der Sowjetunion fort.
Das internationale Komplott gegen Abdullah Öcalan ist auch ein Ausdruck der Unterstützung für die Türkei. Gleichzeitig war dies auch eine Gegenleistung für das Handeln des türkischen Staates im Rahmen der Politik der USA und der NATO. Denn alle Interventionen im Nahen Osten erfolgten in diesem Rahmen. Nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion wurde diese Politik im Rahmen des Dritten Weltkriegs betrieben. Da die Türkei im Einklang mit der Politik der USA und der NATO handelt, erhält sie weiterhin deren Unterstützung. Andererseits hat die Türkei stark vom russisch-ukrainischen Krieg profitiert. Denn dieser Krieg hat die Widersprüche zwischen den Staaten verstärkt. Die Beziehungen zwischen den USA und Russland sowie zwischen Russland und Europa sind angespannt. Von diesen Spannungen hat die Türkei zum einen als NATO-Mitglied profitiert; zum anderen hat sie aufgrund der Aufrechterhaltung ihrer Beziehungen wirtschaftliche und politische Unterstützung von Russland erhalten. Obwohl es als Widerspruch erscheint, hat Russland die türkische Regierung trotz ihrer NATO-Mitgliedschaft unterstützt. Grund sind die gegebenen Bedingungen und ihre eigene Situation.
Einer der Widersprüche, von dem die Türkei am meisten profitiert hat, war der Widerspruch zwischen Israel und den arabischen Staaten. Bekanntlich war nach der Gründung des Staates Israel eine der wichtigsten Dimensionen der Nahostpolitik der USA und der NATO die Sicherheit des Staates Israel. Eine der wichtigsten Säulen dieser Politik war die Präsenz und Unterstützung des türkischen Staates. In der Tat war die Türkei einer der ersten Staaten, die Israel anerkannt haben. Die offizielle Politik des Staates Israel war der Völkermord am palästinensischen Volk und die Errichtung eines Staates, der ausschließlich auf dem Judentum basiert. Dies ist auch eine Politik der USA und der NATO. Die Rolle des türkischen Staates bestand darin, diese Politik Israels im Nahen Osten zu unterstützen. Andererseits bedeutete eine solche Politik den Beginn eines endlosen jüdisch-arabischen Krieges.
Seit der Einwanderung jüdischer Menschen in den palästinensischen Gebieten hat sich diese konfliktreiche Situation bis heute fortgesetzt. Die aktuellen Ereignisse sind natürlich Teil und Fortsetzung dieser Entwicklungen. Der türkische Staat hat von dieser konfliktreichen Situation zwischen dem israelischen Staat und den arabischen Staaten immens profitiert. Indem er sich auf die Seite Israels gestellt hat, hat er Unterstützung von Israel, den USA und der NATO erhalten. Gelegentlich hat er sogar Unterstützung von arabischen Staaten erhalten, die mit Israel im Konflikt sind.
Zweifellos hat der türkische Staat die Politik des Völkermords an den Kurd:innen mit all dieser Unterstützung durchgeführt. Er ist diese Beziehungen bereits eingegangen, um die entsprechende Unterstützung zu erhalten. Dieser Völkermord ist auch der Grund, warum der türkische Staat der NATO beigetreten ist. Immer wenn es in der Welt oder in der Region Ereignisse gibt, die die politischen Beziehungen belasten, sagen einige, meist aus dem Kreis der Herrschenden, dass die Türkei die NATO verlassen könnte oder sollte. Diese Aussagen sind unbegründet. Der türkische Staat wird die NATO niemals verlassen. Er weiß sehr wohl, dass er seine Politik des Völkermords an den Kurd:innen nicht ohne die NATO durchführen kann. Alle wissen das.
Nach dem Angriff des türkischen Staates auf Rojava begann der israelische Angriff auf Gaza
Die israelischen Angriffe auf Gaza und Palästina seit dem 7. Oktober 2023 haben die heuchlerische Realität des türkischen Staates und der AKP-MHP-Regierung in vielen Aspekten offenbart.
Die Tatsache, dass die türkischen Medien das Thema so sehr auf der Tagesordnung halten, ist zum Teil auf das Bedürfnis zurückzuführen, diese Heuchelei zu vertuschen. Wie Sie sich erinnern werden, hat der türkische Staat einen Großangriff auf Rojava durchgeführt und den Anschlag in Ankara (2) als Vorwand benutzt. Vor dem Angriff erklärten die Außen- und Verteidigungsminister öffentlich, dass die gesamte Infrastruktur von Rojava nun in ihrem Visier sei. Und dann wurde der Angriff auf Rojava begonnen. Bei den Luftangriffen wurden jede Art unter- und oberirdischer Strukturen bombardiert und getroffen. Dazu gehörten Staudämme, Elektrizitätswerke, Krankenhäuser, Schulen, Siedlungen, Lebensmittelgeschäfte, Ölraffinerien, Werkstätten, Fabriken usw. Dutzende von Menschen verloren dabei ihr Leben. Die Angriffe dauern immer noch an. Tatsächlich führt der türkische Staat diese Angriffe schon seit Jahren durch. Der Unterschied ist, dass sie dieses Mal intensiver und gewalttätiger waren. Fünf Tage nach diesen Angriffen des türkischen Staates begann der israelische Angriff auf den Gazastreifen.
Während der türkische Staat eine solche Haltung gegenüber Rojava einnimmt, erklärte Tayyip Erdoğan ohne rot zu werden, dass die Angriffe auf den Gazastreifen eingestellt werden sollten und die Orte nicht aus der Luft angegriffen werden dürften. Was Tayyip Erdoğan tut, unterscheidet sich jedoch nicht von dem, was Netanjahu tut. In vielerlei Hinsicht ist es sogar noch schlimmer. Aber warum ist der türkische Staat über die Situation in Gaza besorgt, und wie kann er das unwidersprochen in der Öffentlichkeit kundtun, wo er eine Operation durchführt, die die Kurd:innen abschlachtet?
Jede:r muss sich diese beiden Fragen stellen und die richtigen Antworten finden.
Denn nur dann wird sich die die Wahrheit über den türkischen Staat, die AKP-MHP-Regierung und Tayyip Erdoğan offenbaren. Auch die Situation der öffentlichen Meinung in der Türkei wird dann verstanden werden.
Der einzige Grund, warum der türkische Staat über die Situation der Palästinenser:innen besorgt ist, die sich durch die Angriffe der Hamas verschärft hat und deren Folgen für die Region nicht absehbar sind, ist die Möglichkeit des Entstehens neuer Kräfteverhältnisse, die seine Politik des Völkermords an den Kurd:innen gefährden könnten. Schon allein die Möglichkeit kann der türkische Staat nicht ertragen. Insbesondere für die AKP-MHP-Regierung, die ihre gesamte Existenz auf den Völkermord an den Kurd:innen aufgebaut hat, wäre eine solche Situation äußerst problematisch. Insofern beunruhigt sie diese Möglichkeit sehr. Entgegen ihrer Darstellung im Fernsehen und den anderen Medien, kümmert sich die Türkei ansonsten nicht um das Leid der Menschen in Gaza und Palästina, den Verlust palästinensischer Menschenleben und die Vertreibung des palästinensischen Volkes aus seinen Häusern. Es ist das Erfordernis der staatlichen Politik, die eigentliche Sorge zu verbergen und sie auf diese Weise zu verschleiern. Diese schmutzige Form der Politik hat sich mit der AKP-MHP-Regierung verstärkt. Fast alles wird in der Türkei verzerrt, selbst Kleinigkeiten.
So wird die Gesellschaft unfähig gemacht, die Wahrheit zu erkennen. Das ist die Art und Weise, wie der Faschismus die Gesellschaft regiert. In Wirklichkeit geht es dem türkischen Staat um die Politik des Völkermords an den Kurd:innen. Wenn der türkische Staat sieht, dass die aktuelle Situation und ihre Folgen die Politik des Völkermords an den Kurd:innen nicht gefährden, dass er von den neuen Entwicklungen profitieren kann oder ihm ein entsprechendes Angebot gemacht wird, wird er diese Angst verlieren. In einer solchen Situation würde die Türkei auf die weitere Entwicklung der Konflikt- und Kriegssituation hinwirken.
Das war schon immer die Haltung des türkischen Staates. Der türkische Staat will auf keinen Fall das Ende des arabisch-jüdischen Konfliktes im Nahen Osten und eine Lösung des israelisch-palästinensischen Konfliktes. Als die Spannungen zwischen Israel und den arabischen Staaten in den letzten Jahren abnahmen und Vereinbarungen zwischen ihnen getroffen wurden, war der türkische Staat darüber äußerst beunruhigt. Er warf den arabischen Staaten vor, die palästinensische Sache zu verraten. Die arabischen Staaten haben keine Haltung eingenommen, die der palästinensischen Sache dient. Doch die Sorge des türkischen Staates gilt nicht der palästinensischen Sache, sondern mit den abnehmenden Widersprüchen im Nahen Osten und der daraus resultierenden nachlassenden Unterstützung für seine Politik des Völkermords an den Kurd:innen ergibt. Die erneuten Spannungen beunruhigen den türkischen Staat nicht. Wenn er weiß, dass eine Situation seiner Politik des Völkermords an den Kurd:innen keinen Schaden zufügen wird, dann arbeitet er daran, die Situation zuzuspitzen. Daher sollten wir nicht daran zweifeln, dass der türkische Staat und die AKP-MHP-Regierung genau darauf hinarbeiten.
Nur auf der Grundlage der kurdischen Realität kann die Wahrheit in der Türkei enthüllt und verstanden werden
Seit Beginn der Bombardierung Gazas hat sich die Kritik entwickelt, dass die AKP-MHP-Regierung in der Palästina-Frage nicht aufrichtig ist und die Gesellschaft täuscht. Diese Kritik wird von einigen türkischen Intellektuellen und Journalist:innen geäußert. Zweifelsohne ist diese Kritik richtig, aber da sie an der kurdischen Realität vorbeigeht, ist sie unzureichend und hat nicht die notwendige Wirkung.
Leider kann die Wahrheit wegen des Einflusses des Nationalismus und des staatlichen Drucks nicht vollständig nachvollzogen und zum Ausdruck gebracht werden. Darum können in der Türkei keine positiven Entwicklungen eingeleitet werden. Es ist eindeutig, dass die türkischen Intellektuellen, linken, sozialistischen und demokratischen Bewegungen in dieser Hinsicht unzureichend sind. Das gilt auch für den Bereich der demokratischen Politik, denn es liegt auch in ihrer Verantwortung, sich zu entwickeln. Die Wahrheit in der Türkei kann nur unter Berücksichtigung der kurdischen Realität aufgedeckt und verstanden werden. Selbst wenn die Wahrheit ausgesprochen wird, wird sie keine Wirkung und kein Ergebnis haben. Selbst wenn man von morgens bis abends sagt, dass die AKP-MHP-Regierung, Tayyip Erdoğan und die religiösen Bewegungen in der Türkei sich nicht um die palästinensische Sache kümmern, wird dies keine nennenswerte Wirkung auf die Gesellschaft haben. Denn die Realität bleibt verborgen. Jeder kann so tun, als würde er die palästinensische Sache unterstützen, indem er tausend und eine Maske trägt. Der Weg, dies zu verhindern und zu ändern, besteht darin, die Sache des kurdischen Volkes zu vertreten, den Staat und die AKP-MHP-Regierung auf dieser Grundlage zu kritisieren und zu hinterfragen. Wenn der faschistische Chef Tayyip Erdoğan sagt, dass die Bombardierung von Gaza aufhören muss, müsste die Türkei mit einer lauten Stimme sagen, »warum bombardiert ihr dann Rojava?« Wenn das gesagt würde, dann fiele die Maske der Regierung, die türkische Gesellschaft würde die Realität verstehen und die Situation entsprechend einschätzen können. Das ist es, was in der Türkei nicht geschieht aber notwendig ist.
Über die Folgen der entstandenen Situation wird inzwischen weltweit intensiv diskutiert. Diese Diskussionen sind jedoch weit davon entfernt, die Grundlagen des Problems und Wege zur Lösung aufzuzeigen. Die Diskussionen drehen sich hauptsächlich um das Ergebnis und darum, was nach dem Krieg passieren könnte. Es ist jedoch klar, wer was will. So wird jeder danach streben, seinen Willen umzusetzen; derjenige mit der größten sozialen, wirtschaftlichen, politischen und militärischen Macht wird seine eigenen Ziele eher erreichen. Das ist leicht gesagt und auch keine falsche Behauptung. Aber wenn man sich fragt, ob all dies die bestehenden Probleme lösen kann, wird die Antwort darauf negativ sein. Wir haben gesehen, dass die Kräfteverhältnisse im Nahen Osten sehr empfindlich sind. In einer solchen Phase des Dritten Weltkriegs kann das Spiel mit den Konstellationen im Nahen Osten und der Absicht eines Krieges zu einem unvorhersehbaren Konfliktverlauf führen. Die vorgeschlagenen Szenarien sind in diesem Sinne beunruhigend. Das Ziel des Staates Israel ist klar. Er will den Völkermord an den Palästinenser:innen mit jedem Schritt weiter vorantreiben. Es ist ganz klar, dass er versucht, die aktuellen Bedingungen dafür zu nutzen. Gegenwärtig führt er ein intensives Bombardement gegen Gaza durch, aber es ist nicht bekannt, ob er sich darauf beschränken wird.
Die USA und Großbritannien haben ihre Kriegsschiffe in den Nahen Osten gebracht. Es handelt sich um die größten Kriegsflotten der Welt. Außerdem hat die US-Regierung enorme Ressourcen für diese Situation bereitgestellt. Nach eigenen Angaben wurde eine noch nie dagewesene Summe an Finanzmitteln beantragt und vom US-Kongress genehmigt. Es wird auch erklärt, dass ein erheblicher Teil dieser Mittel für den Krieg in der Ukraine verwendet werden soll. Der Iran und die von ihm geschaffenen Strukturen im Libanon und in Syrien, die dem Iran nahestehen, sind das Ziel. Die Widersprüche mit dem Iran sind wohlbekannt. Andererseits hat sich China in den letzten Jahren in die Politik und die Kräftekonstellationen im Nahen Osten eingemischt. China spielte eine wichtige Rolle bei der saudi-iranischen Annäherung, die als sehr wichtig angesehen wird. Es ist offensichtlich, dass den USA diese Situation nicht gefällt. In der Ukraine ist Russland an einem Krieg beteiligt.
An Krieg hat es im Nahen Osten noch nie gemangelt. Jetzt ist ein Boden geschaffen, der ihn noch verstärken wird. Der türkische Staat bemüht sich bereits, die Probleme zu verschärfen und eine konfliktreiche Konstellation zu schaffen, um den Völkermord an den Kurd:innen voranzutreiben. Es ist inzwischen allgemein bekannt, dass er in Rojava einmarschieren und die dortige Ordnung, d. h. das System der demokratischen Autonomie beseitigen will. Das Ziel des türkischen Staates beschränkt sich nicht darauf, Rojava zu besetzen und die Revolution von Rojava zu liquidieren. Sein Ziel ist es, die Kurd:innen aus Rojava zu vertreiben. Er will auch die Kurd:innen vertreiben, die in anderen Teilen Kurdistans Widerstand leisten und weiterhin für die Freiheit Kurdistans kämpfen. Auf diese Weise will sie ihr Endziel, den Völkermord an den Kurd:innen, verwirklichen. Dazu will sie die jetzt entstandene Situation nutzen.
Die Lösung ist die Entwicklung der demokratischen Nation
Das ist die Situation, in der sich die kapitalistische Moderne befindet. Sie hat nie einen anderen Weg eingeschlagen als die Intensivierung des Krieges. Deshalb müssen sich die Völker organisieren und ihre Kämpfe dieser Realität entsprechend entwickeln. Natürlich sind es nicht die Staaten, die die Probleme lösen werden, sondern die demokratischen sozialen Kämpfe. Es gibt keine Möglichkeit, die Probleme im Nahen Osten mit der staatlichen und nationalstaatlichen Mentalität zu lösen. Die Wurzel aller heutigen Schwierigkeiten im Nahen Osten, insbesondere der palästinensischen und kurdischen »Frage«, sind die staatsfixierte Mentalität und ihre nationalstaatliche Variante. Die Lösung kann nur in der Überwindung dieser Mentalität und der Entwicklung der demokratischen Nation liegen. Diese ist eine Lösungsmethode, die auf dem demokratischen System der Gesellschaft basiert, indem sie alle Arten des monistischen Verständnisses des Nationalstaates überwindet. Was im Nahen Osten gebraucht wird, ist die Entwicklung eines solchen Verständnisses des Lebens und der Lösung. Als Abdullah Öcalan das Konzept der demokratischen Nation vorstellte, tat er dies, um die Probleme des Nahen Ostens zu lösen.
Deshalb müssen wir über die Lösung der »palästinensischen Frage«, die eines der grundlegendsten Probleme des Nahen Ostens ist, durch eine demokratische Nation nachdenken und dafür kämpfen, dass dies geschieht. Das kurdische Volk kämpft seit Jahrzehnten für seine Freiheit. Mit dem Kampf gegen das internationale Komplott und der neuen Mentalität und dem Paradigma, das von Abdullah Öcalan entwickelt wurde, hat es diesen Kampf inzwischen auf die internationale Ebene gebracht. Der Kampf des palästinensischen Volkes im Besonderen und der Kampf für Freiheit und Demokratie im Nahen Osten und in der ganzen Welt können zu einer stärkeren Einheit und Solidarität zwischen den Kämpfen für Freiheit und Demokratie führen, was zu einer wirklichen Lösung der Probleme führen wird.
Der demokratische Kampf des jüdischen Volkes gegen die offizielle Staatsmentalität ist ebenfalls sehr wichtig. Trotz des Trommelns für Krieg und Völkermord ist es äußerst wichtig, dass sich diese Idee und dieser Kampf im jüdischen Volk entwickelt. Hinzu kommt der Kampf der anderen Völker des Nahen Ostens. Es wird möglich sein, eine Perspektive der demokratischen Nation und der Geschwisterlichkeit der Völker zu entwickeln und die Probleme durch Solidarität und den gemeinsamen Kampf zu überwinden.
Dieser Artikel ist Teil der Palestine Series, einer digitalen Artikelserie zur Palästina-Frage. Weitere kommende Artikel werden auf der Website veröffentlicht. Folgen Sie uns auf X und Instagram, um auf dem Laufenden zu bleiben.