Maduro oder der rechte Flügel – ist das eine Wahl?

Am 28. Juli 2024 fand in Venezuela eine der vielen Wahlen der letzten Jahre statt. Die offiziellen Zahlen zeigten einen knappen Sieg für Maduro, und es überrascht nicht, dass die Kandidaten des rechten Flügels Wahlbetrug anprangern, mit lautstarker Unterstützung der USA. Aber weil viele in den letzten Jahren unter Maduros Herrschaft eine dystopische Realität erlebt haben, haben auch andere die Ergebnisse verurteilt, nicht nur die rechten Kandidaten Corina und Gonzales. Das Versprechen des Sozialismus wurde nicht gehalten.

Die bolivarische Revolution und das Gemeindesystem

Hugo Chavez Frias war in vielerlei Hinsicht ein Visionär und hatte neue Ideen, wie man den Traum vom Sozialismus verwirklichen könnte. Bis in die 2000er Jahre waren viele Versuche unternommen worden, dieses Ideal zu erreichen, aber die meisten endeten in Staaten, die man als gescheitert bezeichnen könnte. Die Idee, den Staat zu übernehmen und ihn den Arbeitern zu geben, wurde zwar ausprobiert, blieb aber erfolglos, und die meisten dieser Staaten verwandelten sich in kapitalistische Staaten mit einer Art sozialistischer Tarnung. Chavez war sich dessen bewusst und versuchte, dieses Problem zu überwinden, indem er die demokratischen Strukturen des Volkes – die Kommunen – stärkte. Die Idee war, zwei parallele politische Kräfte aufzubauen; die eine war der Staat der sich selbst dekonstruieren sollte, um sich in der zweiten aufzulösen: dem System der Volkskommunen. Ein Weg, dies zu erreichen, war die Gesetzgebung. Die Übergangs-Gesetze sollten diese Entwicklung beschleunigen. Jede Kommune, die eine bisher staatlich verwaltete Aufgabe übernehmen konnte, hatte einen Rechtsanspruch darauf, die Mittel für diese Aufgabe zu erhalten und so den Staat in dieser Funktion zu ersetzen, mit dem langfristigen Ziel, den gesamten Staat zu ersetzen.

Leider hatte dieses Vorhaben einen Mängel. Viele Kommunen haben zwar wichtige Veränderungen bewirkt, stecken aber weiterhin in Schwierigkeiten, und jede Gruppe oder Organisation, die dieses Gesetz für eigene Profite ausnutzen wollte, konnte dies tun. So entwickelte sich eine Korruptionswirtschaft, in der zwielichtige Organisationen Aufgaben des Staates übernahmen, den größten Teil des Geldes jedoch behielten und die Dienstleistungen nur auf sehr schlechte Weise erfüllten. Auf diese Weise waren die Bürger mit defekten öffentlichen Diensten konfrontiert, während mafiaähnliche Gruppen Profite eintrieben. Der Staat war an diesem Spiel nicht unbeteiligt, die Politiker hatten großes Interesse daran, sich an dem Betrug zu bereichern, war groß, und die Geschichte der Korruption im venezolanischen Staat ist berüchtigt.

Maduros Hinwendung zum Neoliberalismus

Im Jahr 2012 starb Hugo Chaves an Krebs. Sein Lehrling und Nachfolger war Nicolas Maduro. Das Volk respektierte den Willen von Chavez und Maduro stieg in dieses Amt auf, das er nun seit 12 Jahren innehat. Während der Amtszeit von Maduro haben sich die Dinge zum Schlechteren gewendet. Obwohl viele der strukturellen Probleme bereits während der Zeit von Chavez begannen und die Weichen dafür bereits gestellt waren, hat sich Maduros Präsidentschaft von der von Chavez geplanten Politik abgewandt und sich einem ziemlich brutalen Neoliberalismus zugewandt, der manchmal mit der Politik übereinstimmte, die von der klassischen rechten Opposition der Oberschicht vorgeschlagen wurde.

Sicherlich hat das von den USA verhängte Embargo schwerwiegende Auswirkungen auf die Wirtschaft und die Einwohner des Landes gehabt. Das Embargo ist jedoch nicht allein für die schwierige Lage, in der sich die Menschen im letzten Jahrzehnt befanden, verantwortlich. Der Mindestlohn ist während seiner Amtszeit von 500 USD auf 3 USD gesunken, und Arbeiter, die gegen diese Reformen protestierten, wurden ins Gefängnis gesteckt. Mit diesen Maßnahmen erinnert Maduros Regierung an seine engen internationalen Verbündeten wie den Iran, die Türkei und Syrien, von denen er sich in seiner zunehmend autoritären Politik inspirieren zu lassen scheint. Den völkermordenden Diktator Tayyip Erdogan hat er während seiner Amtseinführungszeremonie als türkischen Präsidenten sogar als seinen „großen Bruder“ bezeichnet. Das Bündnis mit diesen despotischen Staaten wird als eine Art antiimperialistische Achse dargestellt, um die sozialistischen Unterstützer der Regierung von der Legitimität des Bündnisses zu überzeugen. Ein Mitglied des Exekutivrates der KCK sagte dazu folgendes: „Was die Behauptung betrifft, dass der Staat der türkischen Republik und das faschistische AKP-MHP-Regime antiamerikanisch sind, so ist es unmöglich, dafür ernsthafte Beweise zu erbringen. Tayyip Erdoğan hat die AKP gegründet und ist mit der Erlaubnis und Unterstützung der US-Regierung an die Macht gekommen“ (1). Daher kann man sich fragen, ob es möglich ist, Sozialist zu sein, ohne bei der Wahl seiner strategischen Allianzen ethische Werte zu berücksichtigen? Kann man sich selbst als Revolutionär bezeichnen, wenn die eigenen Freunde zu den schlimmsten Feinden der revolutionären Volksbewegungen in der Welt gehören?

Die Wahlen 2024 – rechts oder links?

Was hat es mit diesen progressiven linken Persönlichkeiten auf sich, die böse werden, sobald die Präsidentenbinde ihren Anzug berührt? Erinnert ihr euch noch an den Studentenführer, der noch 2019 an den Aufständen gegen die neoliberale Politik der chilenischen Regierung teilnahm? Er wurde später Präsident, und zu seinen jüngsten Verdiensten gehört die Militarisierung des Landes der indigenen Mapuche-Bevölkerung. Militärpräsenz, wie z.B. Hubschrauber, gehören auf ihrem Land zum Alltag und natürliche Ressourcen werden an transnationale Unternehmen verkauft. Dieser Gabriel Boric ist nur ein (wenn auch vielleicht das schlimmste) Beispiel dafür, wie sich das Versprechen von Sozialismus, Revolution und Demokratie in den Händen progressiver Regierungen ins Gegenteil verkehrt. Wir könnten auch Lula, Petro oder Correa erwähnen, aber das Bild ist klar genug. Hinzu kommt die Liste der gescheiterten sozialistischen Staaten des letzten Jahrhunderts, die ebenfalls die Hoffnung von Millionen von Sozialisten enttäuscht haben. Was ist also passiert? Was ist der gemeinsame Nenner dieser Führer und ihrer entgleisten Experimente?

Der Staat ist keine Adresse, er ist eine Mentalität

Was ist der Staat? Er ist sicherlich vieles. Oft ist er in einer Reihe von beeindruckenden architektonischen Bauten untergebracht. Er besteht auch aus den Menschen in ihren Ämtern, die sie in diesen Gebäuden ausüben, und sicherlich auch aus der gesamten Macht, die diese Menschen innehaben. Aber um ihn zu verstehen und ihn zum Verschwinden zu bringen, so wie es die meisten sozialistischen Projekte zum Ziel hatten, schlagen wir vor, ihn als viel umfassender zu definieren. Ein Merkmal des modernen Nationalstaates ist, dass er sich nicht nur auf physische oder formale Strukturen stützt. Er geht darüber hinaus und stützt sich auf etwas, das uns viel näher ist, nämlich auf uns selber – die Individuen. Wenn wir eines Tages plötzlich aufwachen und beschließen, nicht mehr auf die Entscheidungen des Staates zu hören, dann würde sich der Staat schnell auflösen und nutzlos werden. Der Staat ist auf uns angewiesen, um seine Macht zu erhalten. Wenn wir seine Macht nicht akzeptieren, wird er machtlos werden.

Wenn wir die Geschichte des Staates bis zu seinen Anfängen zurückverfolgen, wahrscheinlich im Nahen Osten vor etwa 5000 Jahren, können wir sehen, wie sich die ersten Staaten aus dem Zusammenschluss von Jägern, Schamanen und den männlichen Ältesten der Gesellschaft bildeten. Als diese Gruppe die Möglichkeit sah, den Rest der Gesellschaft auf der Grundlage des durch die landwirtschaftliche Revolution erzeugten Überschusses auszubeuten, begannen sie einen Prozess der Sicherung des Überschusses und des Ausbaus ihrer Macht, indem sie ihre Funktionen weiter entwickelten. Wenn wir in die Gegenwart zurückkehren, sehen wir das Bündnis der Triade Jäger-Schamane-Ältester in der heutigen Form des Nationalstaates, vertreten durch die militärische Macht, die Macht der Wissenschaft und die politische Macht der Elite. Die Veränderung in der menschlichen Mentalität, die diese antike Triade repräsentierte, war der moralische Verfall, der die Ausbeutung „des Anderen“ ermöglichte, etwas, das bis dahin verpönt war. Diese wird aber heute fast idealisiert und in ein hohes Ansehen gehoben. Reich zu werden ist ein unbestreitbares Ziel, und die ethischen Kosten werden kaum bedacht.

Dies ist eine dominante männliche Mentalität, und sie ist die Essenz und der Kern dessen, was den Staat ausmacht. Eine mentale und physische Machtstruktur, die die permanente Ausbeutung von allem und jedem gewährleistet.

Was Abdullah Öcalan mit dem neuen Paradigma als Antwort auf den historischen Schaden, den uns der Staat zugefügt hat, vorschlägt, ist der Wiederaufbau der „moralisch-politischen Gesellschaft“. Die Gesellschaft wurde absichtlich zerstört, da sie Ausdruck des Zusammenschlusses von Individuen ist, die das schützen, was in ihrem Interesse ist: ihre Organisationen, die Umwelt und all die schönen Dinge des Lebens. Eine starke Gesellschaft ist schlecht für den Staat, denn sie bedeutet, dass sie sich vor Ausbeutung schützen kann. Eine Gesellschaft mit einem starken moralischen Empfinden kann auch Recht von Unrecht unterscheiden. Dies ist ein grundlegendes Problem für den Kapitalismus, da er danach strebt und davon lebt, Unrecht zu tun, und wenn sich die Gesellschaft dessen bewusst ist, wird sie es unmöglich machen, die Zerstörung der Natur zum Nutzen einiger weniger reicher Familien fortzusetzen. Wenn man der Gesellschaft ihre politischen Fähigkeiten nimmt, ist sichergestellt, dass sie, selbst wenn sie den Staat als das erkennt, was er ist, nämlich der Beschützer der kapitalistischen Täter und Naturzerstörer, sie nicht ihre politische Kraft einsetzen wird, um dies zu verhindern.

Wenn Öcalan in seinen Gefängnisschriften über den „dritten Weg“ der Politik spricht, meint er folgendes. Wir müssen uns nicht an eine staatliche Macht wenden, um unsere Bedürfnisse zu befriedigen, oder um unsere Probleme zu lösen. Wir können uns organisieren, unsere Gesellschaft wieder aufbauen, uns bilden und gegen die patriarchale kapitalistische Mentalität kämpfen, mit der wir infiziert wurden, und uns so organisieren, dass wir politisch in der Lage sind, auf die Angriffe jedes Staates, ob aus dem In- oder Ausland, zu reagieren. Ein Blick nach Kurdistan und insbesondere Rojava zeigen uns beispielhaft, wie dies in der realen Welt umgesetzt wird. Dabei geht es nicht darum, den Staat zu vernichten, denn diese Art von hartem dialektischem Ansatz hat in der Geschichte der sozialistischen Bewegungen zu mehr Zerstörung als Aufbau geführt. Die Idee ist, den Staat zu ersetzen, indem wir unsere Probleme selbst in die Hand nehmen und so den Staat verkümmern lassen und ihn überflüssig machen. Wenn der Staat dies akzeptiert, werden wir Frieden haben, wenn nicht, haben wir das Recht, unsere Errungenschaften zu verteidigen. So wie das venezolanische Volk das Recht hat, seine Kommunen gegen Angriffe von korrupten Politikern und kriminellen Banden zu verteidigen.

Aber es ist nicht unsere Aufgabe, irgendeiner Nation vorzuschreiben, wie sie diese Ideen, dort, wo sie lebt, umsetzen soll. Ein wesentlicher Teil eines sozialistischen und demokratischen Bestrebens ist es, die Kraft zu entwickeln, selbst zu entscheiden, was in seinem eigenen Kontext der richtige und was der falsche Weg ist. Wir können die Menschen nur auffordern, einen Dialog über die Alternativen zu führen. Wir glauben, dass es Alternativen zum Nationalstaat gibt, und wir glauben, dass die Menschen in Kurdistan und Chiapas Geschichte schreiben, indem sie diese in die Praxis umsetzen. Wir senden unsere guten Wünsche an die Menschen in Venezuela, die nach einem neuen Weg suchen, einem dritten Weg aus der Krise, die von den Staaten aufgezwungen wurde. Eine würdige Alternative ist möglich!

References
Duran Kalkan, on the website of the KCK.