Die Hauptprinzipien des demokratischen Konföderalismus

Demokratischer Konföderalismus, wie er vom kurdischen Vordenker Abdullah Öcalan definiert wurde, ist der moralisch, politische und administrative Ausdruck der Gesellschaft – als historische und soziologische Struktur – in der verschiedene Identitäten, Fraktionen und Gruppen in dialektischer Harmonie koexistieren. Damit meinen wir nicht eine klassische konföderale Struktur, die aus Staaten besteht, sondern die konföderale Einheit gesellschaftlicher Strukturen.

Der grundlegende Unterschied zwischen beiden besteht darin, dass die eine sich auf den Staat stützt und die andere auf die Gesellschaft. Wenn wir uns diesem Thema aus einer historischen Perspektive nähern, können wir erkennen, dass die staatlich basierte kapitalistische Moderne und die gesellschaftlich basierte demokratische Moderne in einem ständigen Konflikt stehen. Während die kapitalistische Moderne auf kapitalistischer Profitmaximierung, Industrialismus und Nationalstaat beruht, gründet sich die demokratische Moderne auf die demokratische Gesellschaft, den demokratischen Konföderalismus und die Öko-Industrie.

„Die demokratische Moderne antwortet auf die Homogenisierung (Uniformierung), die Herden- und die Massengesellschaft, die der moderne Nationalstaat auf dem Wege erreichen will, den er mit der universalistischen, linear-progressivistischen und deterministischen Methode (Methodenverständnis, das sich Wahrscheinlichkeiten und Alternativen verschließt) vorgezeichnet hat, mit pluralistischen, probabilistischen, für Alternativen offenen und die demokratische Gesellschaft sichtbar machenden Methoden. Sie entwickelt ihre Alternative durch ihre für verschiedene politische Strukturen offenen, multikulturellen, Monopolisierung ausschließenden, ökologistischen und feministischen Wesenszüge und eine wirtschaftliche Struktur, die grundlegende gesellschaftliche Bedürfnisse erfüllt und auf gemeinschaftlicher Kontrolle beruht. Die politische Alternative der demokratischen Moderne zum Nationalstaat der kapitalistischen Moderne ist der demokratische Konföderalismus.“ (1)

„Die demokratische Moderne ist in ihrem Nationsverständnis flexibel. Die nicht auf Sprache, Ethnizität, Religion oder Staat beruhende nationale Konstruktionsperspektive bringt in ihrem Rahmen multilingual, -ethnisch, -religiös, -konfessionell und -politisch gestaltete Elemente zusammen und spielt eine ungemein problemlösende Rolle. Gegenüber auf Staat, Sprache, Religion, Konfession oder Ethnizität beruhenden Nationsverständnissen bietet das ganzheitliche Nationsverständnis der demokratischen Moderne mit ihren multiplen Elementen eine starke Basis für Frieden und Geschwisterlichkeit im Nahen Osten.“ (2)

Sozialwissenschaftler:innen haben unterschiedliche Definitionen von Gesellschaft entwickelt. Ein gemeinsames Thema in vielen dieser Definitionen ist jedoch, dass die Gesellschaft nicht nur die Summe der Menschen ist, sondern ein komplexerer Organismus, der über diese bloße Summierung hinausgeht. Von ihrer ersten organisierten Form, dem Clan, bis zu ihrer kompliziertesten Form, der Nation, hat sich die Gesellschaft immer in einem gemeinsamen Leben zusammengefunden. Die Nation ist eine sehr komplexe und entwickelte Form der Gesellschaft.

Der Staat und die Demokratie

In dieser Phase kommt den Begriffen Staat und Demokratie eine besondere Bedeutung zu. Beide Begriffe haben einen historischen Hintergrund. Während der Staat etwa fünftausend Jahre alt sein soll, ist die Demokratie so alt wie die Gesellschaft selbst. In dieser Hinsicht ist eine eingehende Bewertung dieser beiden Konzepte für das Verständnis des demokratischen Konföderalismus unerlässlich, der selbst ein ehrgeiziges Projekt für die Organisation des Lebens und seiner Verwaltung darstellt.

Es versteht sich von selbst, dass Konzepte, Theorien und Institutionen ursprüngliche Zustände und umgewandelte Versionen haben. In unserer Zeit sind der Staat und die Demokratie zwei Begriffe, die am stärksten von dieser Umwandlung betroffen sind. Es muss jedoch festgestellt werden, dass diese Begriffe entgegen der landläufigen Meinung und Manipulation nicht identisch oder austauschbar sind; sie stellen vielmehr Gegenpole dar. Seit Jahrtausenden wird der Staat – eine Institution, die dringend einer Neubewertung bedarf – als Schicksal für die Gesellschaften und die Menschheit im Allgemeinen dargestellt. Viele Menschen, von erfahrenen Politiker:innen bis hin zu angesehenen Künstler:innen, wagen es nicht, die Existenz oder die Legitimität des Staates in Frage zu stellen. Diejenigen, die den Staat in Frage stellen, werden häufig als „Anarchist:innen“ beschimpft, als ob dies eine Beleidigung wäre. Dieselben Leute neigen dazu, die Demokratie als eine Eigenschaft oder einen Bestandteil des Staates darzustellen. Tatsächlich ist der Staat die erste Institution, die die Hierarchie und das Klassensystem institutionalisiert hat. Im Laufe der Zeit hat sich der Staat zu einer organisierten Form von Gewalt und Zwang entwickelt und hat dies durch ideologische, militärische und politische Strukturen auf die Gesellschaft übertragen. Während sich seine Form, Gestalt und Strukturen im Laufe der Zeit verändert haben, wäre es keine Übertreibung zu sagen, dass sein Wesen erhalten geblieben ist. Auch wenn er sich durch verschiedene Formen maskiert, ist der Staat im Wesentlichen eine Institution gegen die Gesellschaft und die Demokratie. Um dieses Wesen zu verbergen, hat der Staat nicht darauf verzichtet, sich der Justiz, der Politik, der Kultur und der Künste sowie der Glaubensrichtungen und Religionen zu bedienen, um sich zu legitimieren. Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die Organisation, die wir als „Staat“ bezeichnen, immer eine Kraft war, die den gesellschaftlichen Raum und seine Freiheit erstickt hat, und heute zu einer Massenorganisation der Macht geworden ist.

Mit anderen Worten: Eine fünftausend Jahre alte Organisation namens „Staat“ hat die hunderttausende Jahre alte Gesellschaft verschlungen. Die natürlich organisierte Lebensweise der Gesellschaft (Demokratie) wurde durch den Staat fast bis an den Rand der Auslöschung eingeschränkt. Man könnte sagen, dass der Kampf zwischen Gesellschaft und Staat oder zwischen Staat und Demokratie seit Jahrtausenden tobt. Während der Staat danach strebt, seinen Souveränitätsbereich zu erweitern, kämpft die Gesellschaft um den Erhalt ihrer Existenz.

Wenn man eine substanzielle Definition von Demokratie vornehmen will, dann kann man sagen, dass Demokratie die Fähigkeit der Gesellschaft ist, ihr Leben und ihre Verwaltung selbst zu gestalten und die Institutionen zu schaffen, um ihre Existenz zu erhalten und zu entwickeln. In dieser Hinsicht reicht die Geschichte der Demokratie viel weiter zurück als die Institutionalisierung des Staates. Die Gesellschaft machte mit der neolithischen Revolution im Fruchtbaren Halbmond einen gewaltigen Produktivitätssprung und erreichte im Laufe der Zeit eine erstaunliche Organisation des Lebens mit Entwicklungen in Politik, Wirtschaft, Kunst, Glauben, Landwirtschaft und anderen Bereichen. Es ist sogar möglich, Demokratie als die Summe der Werte zu definieren, die auf diesem reichen Erbe aufbauen. Positivistische und liberale Ansätze neigen dazu, die Dialektik Gesellschaft-Demokratie zu übersehen und eine Methodik anzuwenden, die die staatliche Zivilisation als Ausgangspunkt nimmt. Bei diesem Ansatz werden Tausende von Jahren gesellschaftlicher Arbeit und demokratischer Akkumulation übersehen. Dieser Ansatz kann nicht als „wissenschaftlich“ legitimiert werden und ist auch moralisch und politisch problematisch. Auch zur Lösung des Problems zwischen Staat und Demokratie, also zwischen Staat und Gesellschaft, trägt diese Methodik nicht bei. Die Lösung des gegenwärtigen „Dritten Weltkriegs“, der im Nahen Osten ausgetragen wird, in diesem grundlegenden und historischen Konflikt zu suchen, ist ein methodisch logischer Ansatzpunkt. Denn die Region, in der die aktuelle Krise vor allem ausgetragen wird, ist auch die Region, die diesen Konflikt seit Jahrtausenden durchlebt hat. Kann es ein Zufall sein, dass der erste Ort des gesellschaftlichen Lebens und der Produktion heute die krisenhafteste Geografie der Welt ist? Wenn nicht, wie ist es dann dazu gekommen? Es wird von Vorteil sein, die Antwort auf diese Frage in der Verschärfung des historischen Konflikts zwischen Staat und Gesellschaft im Nahen Osten zu suchen. Darüber hinaus haben die externen Interventionen der letzten zweihundert Jahre und die imperialistische Politik das Problem noch verschärft. Die ausbeuterische Rolle der auf Europa basierenden kapitalistischen Moderne ist entscheidend. Um die historische Tiefe der aktuellen Situation zu verstehen, reicht es nicht aus, den religiösen Fundamentalismus – den Rammbock der kapitalistischen Moderne – zu analysieren. Gesellschaftliche Zerstörung, Massaker, Einwanderung und alltägliche Tragödien stehen jetzt nicht nur vor der Tür, sondern brechen die Türen der europäischen Zivilisation auf. Diese Situation zeigt deutlich, dass Europa nicht so isoliert von den globalen Entwicklungen ist, wie es bisher dachte.

Die Frage „Was ist zu tun?“ ist eine brennende Frage. Staatlicher Faschismus und Fanatismus bedrohen nun alles und jeden, von den mächtigsten Machthabern bis hin zu den Menschen auf der Straße, was alle dazu zwingt, nach einer dringenden Lösung für diese Frage zu suchen.

Die radikaldemokratische Lösung

Die Behandlung sollte dort ansetzen, wo die Krankheit ist. Die Menschlichkeit muss dort wiedergefunden werden, wo sie verloren gegangen ist. Die Geschichte zeigt uns, dass es ohne Frieden in Mesopotamien für andere Regionen schwierig sein wird, in Frieden zu leben. Die größten Kriege der Geschichte wurden in dieser Region ausgetragen oder um sie geführt. Denn hier wurde die Harmonie der Menschheit gestört. Solange diese Region nicht mit einer völlig demokratischen, von manipulativen Machtspielen bereinigten Verwaltung wiedervereinigt ist, können die Probleme der Region nicht gelöst werden. Das ist die radikaldemokratische Lösung. Radikale Demokratie ist der paradigmatische Ansatz, der die Gesellschaft als grundlegende Dynamik jeder Lösung vorsieht und den Staat als organisierte Institution der Unterdrückung abschafft. In dem Maße, in dem die Demokratie institutionalisiert wird, wird auch der Staat verschwinden. In dem Maße, in dem die Gesellschaft sich selbst organisiert und ihren demokratischen Willen institutionalisiert, werden die Manipulationen des Staates sichtbar. Dies gilt vor allem für den Nationalstaat und die virtuelle Realität, die er aufrechterhalten hat. Die Rolle des Staates, der die Gesellschaft gefangen hält und sie täglich ausbeutet, wird besser verstanden werden. Das Verständnis dieser Realität wird den Weg zur radikalen Demokratie und zum demokratischen Konföderalismus als deren Verkörperung öffnen.

Der inhaftierte kurdische Vordenker Öcalan unterstreicht dies in seiner fünften Verteidigungsschrift wie folgt: „Unter diesen Bedingungen wird die Kraft der Lösung der radikalen Demokratie und des demokratischen Konföderalismus immer deutlicher. Kurdistan, als Wiege der Zivilisation, ist jetzt die Wiege für den Anbruch des demokratischen Föderalismus, einer echten und radikalen Demokratie. Es gibt ein Gesetz der Natur: Alles wird auf seinen eigenen Wurzeln wiedergeboren. Es scheint, dass die Demokratie auf ihren verborgenen Wurzeln in der neolithischen Revolution wiedergeboren wird. Es scheint möglich, dass diese Wiege, die noch immer den Angriffen aller Zentralzivilisationen ausgesetzt ist, auch das Kind der Demokratie großziehen kann. Diese Länder und Berge, die seit langem die Fähigkeit verloren haben, sich selbst zu verwalten und eine moralisch und politische Gesellschaften zu sein, könnten noch einmal der Schauplatz eines neuen Marsches der ‚Kurtis‘ sein.“ (3)

Demokratischer Konföderalismus als primäre politische Lösung

Der demokratische Konföderalismus ist die primäre Lösung für die historischen und gesellschaftlichen Probleme, die die kapitalistische Moderne vertieft hat. In dieser Hinsicht sieht er eine paradigmatische Rekonstruktion aller Bereiche des gesellschaftlichen Lebens vor. Ihre grundlegende Einheit für die Neuordnung des gesellschaftlichen Lebens ist die demokratische Nation. Die Nation ist in erster Linie eine Einheit der Mentalität. Der Nationalstaat etabliert sich durch nationalistische Konstrukte. Er bedient sich auch des Sexismus, der Religion und des Szientismus in seiner systemischen Konstruktion. Er konstruiert ideologische Formationen rund um die Homogenisierung von Sprache, Kultur, Geschichte und Markt. Auf diese Weise wird eine virtuelle Realität geschaffen, in der die Nation und das Individuum zum Diener des Staates werden. Gleichzeitig wird eine virtuell gespielte demokratische Bühne geschaffen. All dies dient der Vertiefung gesellschaftlicher Krisen, anstatt sie zu lösen. Es genügt ein Blick auf die nationalstaatliche Praxis der letzten zwei Jahrhunderte, um diese Wahrheiten zu verstehen. In der gegenwärtigen historischen Situation ist klar, dass der Nationalstaat kein tragfähiges Modell für die Lösung gesellschaftlicher Krisen darstellt. Die demokratische Nation ist die einzige Lösung für diese Probleme. Die demokratische Nation, die die Gesellschaft und die Individuen mit einem demokratischen Bewusstsein organisiert, bringt auch die lokale und die universelle Kultur zusammen. Die Geschichte zeigt, dass diese Art von Gesellschaft in verschiedenen Zeiten und Räumen existiert hat. Solange die Kräfte der Macht sich nicht in die innere Dynamik und die natürliche Harmonie einer Gesellschaft einmischen, wird sie sich immer zu einer Plattform für demokratische Einheit entwickeln.

Abdullah Öcalan unterstreicht diesen Aspekt des Themas wie folgt:

„Der demokratische Konföderalismus besitzt das Potenzial, die von der nationalstaatlichen Systematik herrührenden Nachteile zu überwinden. Gleichzeitig ist er das geeignetste Mittel zur Politisierung der Gesellschaft. Er ist einfach und anwendbar. Jede Gemeinschaft, Ethnie, Kultur, Religionsgemeinschaft, intellektuelle Bewegung, wirtschaftliche Einheit etc. kann sich jeweils als politische Einheit selbst autonom strukturieren und ausdrücken. Den Begriff der föderalen Struktur oder der Autonomie, der Selbstheit bzw. des Selbstseins, müssen wir in diesem Rahmen bewerten und in diesen Zusammenhang stellen. Jede Selbstheit, von der lokalen bis zur globalen, besitzt die Möglichkeit, eine Konföderation einzugehen. Grundelement des Lokalen ist das Recht auf freie Diskussion und das Beschlussrecht. Jede Selbstheit oder jede föderale Einheit ist einzigartig, weil sie der direkten Demokratie, die auch als partizipative Demokratie bezeichnet wird, eine Chance auf Umsetzung gibt. Sie beziehen ihre gesamte Kraft aus der Umsetzbarkeit der direkten Demokratie. Dies ist auch das Argument dafür, dass sie eine grundlegende Rolle spielen werden. So sehr der Nationalstaat die Negation der Demokratie ist, so sehr ist der demokratische Konföderalismus im Gegensatz dazu die Form, welche diese Demokratie aufbaut und zum Funktionieren bringt.“ (4)

In diesem Zusammenhang können wir uns die Besonderheiten des demokratischen Konföderalismus genauer ansehen:

**Die moralisch und politische und Gesellschaft**

Politik, auch wenn ihre ursprüngliche Bedeutung stark manipuliert wurde, ist im Wesentlichen der Akt der kreativen Planung der lebenswichtigen Arbeiten der Gesellschaft. Moral kann als die Formulierung gesellschaftlicher Grundsätze und Normen bei der Durchführung der oben genannten Tätigkeiten definiert werden. Wie man sieht, basiert das eine auf den materiellen und das andere auf den immateriellen Aspekten des Lebens. Diese beiden Konzepte sind für die Gesellschaft von existenzieller Bedeutung. Moralisch leere Gesellschaften sind anfällig für Zerstörung, während politisch unzureichende Gesellschaften nicht nachhaltig sind. Beide führen zur Vernichtung der Gesellschaft. In dieser Hinsicht ist die Gesellschaft von Natur aus politisch und moralisch.

** Demokratische Politik und Selbstverwaltung**

Die Gesellschaft ist ein lebendiger Organismus, sie ist historisch und vielgestaltig. Es ist daher nur natürlich, dass es in der Gesellschaft eine Vielzahl von politischen Strömungen und Einstellungen gibt. Der demokratische Konföderalismus ermöglicht es, dass diese unterschiedlichen Strömungen in einem radikaldemokratischen Rahmen harmonisch existieren können, ohne dass sie zu einem Anlass für Konflikte und Gewalt werden. Wenn die natürliche Harmonie und innere Dynamik der Gesellschaft nicht von einer externen, unterdrückenden Elite manipuliert wird, können alle Arten von Problemen durch Diskussionen in einer friedlichen Atmosphäre gelöst werden. Wenn dies der Fall ist, können alle ethnischen, religiösen, kulturellen, sozialen und geschlechtsspezifischen Gruppen im Rahmen lokaler und zentraler politischer Institutionen koexistieren, die mit den Grundsätzen der demokratischen Politik vertraut sind. Es gibt kein gesellschaftliches Problem, das nicht in einer radikaldemokratischen Gesellschaft mit direkter Demokratie durch lokale Versammlungen gelöst werden könnte. Dies ist eine Gesellschaft, in der freie Individuen und Gemeinschaften in der Lage sind, sich selbst frei zu regieren, ohne den unterdrückenden, hegemonialen, manipulativen Druck einer Elite-Institution. Im Grunde ist Einheit in der Vielfalt und Vielfalt in der Einheit keine Utopie, sondern gesellschaftliche Realität.

**Wirtschaftliche Autonomie**

Im Laufe der Geschichte haben alle hegemonialen Eliten die Wirtschaft als Mittel zur Kontrolle und Versklavung der Gesellschaft eingesetzt. Besonders in unserer Zeit, in der die kapitalistische Moderne in die Ära des Finanzkapitals eingetreten ist, hat dies seinen Höhepunkt erreicht. Der wirtschaftliche Kolonialismus ist die gefährlichste Form der Ausbeutung einer Gesellschaft. Eine Gesellschaft, die nicht in der Lage ist, über ihren eigenen wirtschaftlichen Reichtum, ihre Produktionsmittel und ihre wirtschaftliche Tätigkeit zu bestimmen, wird immer unter der Kontrolle derjenigen stehen, die diese Aspekte ihrer Existenz bestimmen. Wirtschaftliche Abhängigkeit bedeutet politische Abhängigkeit. Dies wiederum bedeutet Kolonisierung. Eine solche Gesellschaft ist zusammen mit ihrem Land anfällig für alle Arten von Plünderungen. Alle unterirdischen und überirdischen Ressourcen sind zur Plünderung freigegeben. In dieser Hinsicht ist der Nationalstaat das Werkzeug des Kapitalismus für den Profit. In einem demokratischen konföderalen System kann eine auf Profit, Korruption und Kommerzialisierung basierende Wirtschaft nicht existieren. Es wird eine gemeinschaftliche Wirtschaft aufgebaut, die auf einem auf gesellschaftlichen Bedürfnissen basierenden Nutzwert beruht. Dies ist die autonome Version einer gesellschaftlichen Wirtschaft. In diesem Punkt können wir uns auf Abdullah Öcalan beziehen:

„Inhaltlich beruht die wirtschaftliche Autonomie weder auf dem Privatkapitalismus noch auf dem Staatskapitalismus. Als Widerspiegelung der Demokratie in der Wirtschaft nimmt sie die ökologische Industrie und die kommunale Wirtschaft zur Grundlage. Die ökologische und demokratische Gesellschaft zieht die Grenzen für Industrie, Entwicklung, Technologie, Betriebe und Eigentum. In der wirtschaftlichen Autonomie gibt es keinen Platz für Industrie, Technologie, Entwicklung, Eigentum und Siedlungsprojekte wie »Köy-kent«, die der ökologischen und demokratischen Gesellschaft zuwiderlaufen. Die Wirtschaft darf kein Bereich bleiben, in dem Profit erzielt wird und Kapitalakkumulation stattfindet. Die wirtschaftliche Autonomie ist ein Modell, in dem Profit und Kapitalakkumulation auf ein Minimum gesenkt werden. Zwar lehnt sie Markt, Handel, Produktvielfalt, Wettbewerb und Produktivität nicht ab, akzeptiert jedoch keine Dominanz von Profit und Kapitalakkumulation darüber. Das Finanzsystem wird nur soweit zugelassen, wie es der wirtschaftlichen Produktivität und Funktionalität dient. Mit Geld Geld zu verdienen, betrachtet es als bequemste Form der Ausbeutung, und diese Art der Ausbeutung hat keinen Platz im System der wirtschaftlichen Autonomie.“ (5)

Soziales und kulturelles Leben

In der vom Nationalstaat geschaffenen Gesellschaft hat das soziale und kulturelle Leben einen vernichtenden Schlag erlitten. Städtische Strukturen, in die Millionen von Menschen geströmt sind, sind Zentren des gesellschaftlichen Krebsgeschwürs, in denen Arbeitslosigkeit, soziale Ungleichheit, interne Konflikte und Gewalt gefährliche Ausmaße angenommen haben. Der Nationalstaat hat die Stadt zum Zentrum des Profits, des Kapitals und der Industrie erklärt, und in diesen Zentren werden die gesellschaftlichen Werte, die Kultur und das Individuum täglich aufgezehrt. Die kulturellen Werte der Gesellschaft und ihre Geschichte werden zu Waren gemacht, und der Einzelne wird zum fanatischen Anhänger der Populärkultur. Frauen sind dieser Entwicklung in unverhältnismäßigem Maße ausgesetzt. Der Nationalstaat hat die Frau in seiner „Gebärmaschine“ an die unterste Stelle gesetzt. Dies geschieht insbesondere dadurch, dass er den Körper der Frau zerstückelt und ihn als vermarktbare Ware präsentiert. Bildung und Gesundheit sind zu einem Bereich für materielle und immaterielle Ausbeutung geworden. Während die Gesundheit der Menschheit der Profitmaschinerie ausgeliefert ist, wird das Bildungssystem dazu benutzt, die unsozialsten Menschen zu formen. Im Wesentlichen werden die Gesellschaft und das Individuum in den Sumpf von Nationalismus, religiösem Fundamentalismus, Sexismus und Szientismus gezogen. Das Konzept der demokratischen Nation des demokratischen Konföderalismus zielt darauf ab, die Werte der Menschheit wiederzubeleben, indem die Gesellschaft zu ihren lokalen und universellen Werten zurückgeführt wird. Die Neugestaltung der Mentalität und des Geistes bedeutet eine Re-Sozialisierung der Menschheit. Die Bildung muss wieder zu einem Instrument werden, das die dialektische Beziehung zwischen Individuum und Gesellschaft fördert. In dieser Hinsicht bedeutet die demokratische Nation die Rückkehr der Gesellschaft zu ihrer eigenen Realität.

**Die Ideologie der Frauenbefreiung**

Betrachtet man das nationalstaatliche System, so ist unschwer zu erkennen, dass die Frau von der Familie bis hin zu allen Bereichen des gesellschaftlichen Lebens zu einem anti-gesellschaftlichen Objekt ohne jeden erkennbaren freien Willen gemacht wurde. Diese Situation hat sich auf die gesamte Gesellschaft ausgewirkt. Es ist völlig klar, dass kein einziges Problem der Gesellschaft gelöst werden kann, wenn nicht zuerst dieses historische Problem gelöst wird. Die demokratische Nation geht dieses Problem auf grundlegende und radikale Weise an und wendet daher bei ihrer Suche nach einer Lösung das Prinzip „Wenn die Frauen nicht frei sind, kann die Gesellschaft nicht frei sein“ an. Das System der demokratischen Nation ist ein System, in dem die Organisation der Frauen durch autonome Institutionen gefördert wird. Die Frau als ältester und am stärksten ausgebeuteter Teil der Gesellschaft ist die grundlegende Akteurin im Aufbau der demokratischen Nation.

**Selbstverteidigung**

Selbstverteidigung ist ein natürlicher Zustand. Alle lebenden Organismen verfügen über einen Selbstverteidigungsmechanismus. Beim Menschen ist diese Verteidigung sowohl biologischer als auch gesellschaftlicher Natur. Diejenigen Individuen und Gemeinschaften, die nicht über die gesellschaftliche Version der Selbstverteidigung verfügen, sind dem Untergang geweiht. Selbst wenn sie in der Lage wären zu überleben, könnten sie immer nur als Sklaven leben. In der belebten Welt entwickeln nur die Menschen Systeme der Unterdrückung sowohl innerhalb ihrer Art als auch nach außen gegenüber anderen Lebewesen. In dieser Hinsicht ist die Selbstverteidigung eindeutig gesellschaftlich, und in diesem Rahmen muss ein Selbstverteidigungssystem aufgebaut werden. In diesem Zusammenhang ist die Organisation der Selbstverteidigung lokaler Gemeinschaften in einer demokratischen Nation ein natürliches und gesellschaftliches Recht. Daher muss bei der Entwicklung der Organisation von Gemeinden und lokalen Versammlungen auch der Aspekt der Selbstverteidigung aufgebaut werden.

In unserer Zeit und im Laufe der Geschichte waren die Kurd:innen eine Gemeinschaft, die am meisten der Selbstverteidigung bedurfte. Das liegt daran, dass die Kurd:innen und ihre Regionen immer wieder physischen, gesellschaftlichen und kulturellen Angriffen ausgesetzt waren. Ein Volk, das so lange existenziellen Angriffen ausgesetzt war, muss seine eigene Form der Selbstverteidigung entwickeln. Die Selbstverteidigung, auch in ihrer militärischen Form, muss in allen Bereichen der Gesellschaft entwickelt werden.

**Demokratisches Recht**

Das Recht ist zum meist genutzten Werkzeug der kapitalistischen Moderne geworden. Sie braucht dieses Werkzeug für das von ihr errichtete kapitalistische Profit- und Wirtschaftssystem. Das Recht ist der Schutzmantel und das Legitimationsinstrument des Systems. Deshalb ist das Rechtssystem des Nationalstaates bis ins kleinste Detail sorgfältig ausgearbeitet. Dabei geht es nicht in erster Linie um die Gesellschaft, sondern um das Wohl des Staates. Das liegt daran, dass der Nationalstaat ständig in die gesellschaftlichen Angelegenheiten eingreift. Um diesen Eingriffen eine Legitimation zu geben, werden das Rechtssystem und das politische System voll ausgenutzt. Im Gegensatz dazu basiert das Rechtssystem der demokratischen Nation auf Pluralität und Einfachheit. Es bedarf keiner detaillierten Formulierungen. Das liegt daran, dass es das ethische Merkmal der historischen Gesellschaft als wesentlich ansieht. In jedem Fall bedarf es keiner schriftlichen Rechtsordnung, wenn die Ethik in der Gesellschaft funktioniert. Eine freie Gesellschaft löst ihre Probleme durch ihren geschichtlich-ethischen Charakter.

**Die Diplomatie der demokratischen Nation**

Diplomatie ist die Gesamtheit der friedlichen Beziehungen im internationalen Bereich, die auf gegenseitigem Respekt beruhen. Demokratische Gesellschaften betrachten die Diplomatie als einen Bereich zur Förderung friedlicher und respektvoller Beziehungen. Mögliche Probleme sollen in diesem Bereich gelöst werden. Die Diplomatie zwischen Nationalstaaten ist eher ein Instrument zur Erzielung eines maximalen Profits durch ritualisierte Beziehungen in Friedens- und Kriegszeiten. Wenn die friedlichen Beziehungen für diese Staaten nicht dem maximalen Gewinn dienen, wird ein Krieg geführt. In der nationalstaatlichen Diplomatie sind die Gedanken der Gesellschaft zu einem bestimmten Thema nicht von Bedeutung. Ein kurzer Blick auf die Kriege des 20. Jahrhunderts genügt, um dies zu beweisen.

In einem demokratischen, konföderalen System basiert die Diplomatie der demokratischen Nation auf gesellschaftlichen Werten. Sie ist friedlich und freiheitlich. Mit Ausnahme von Fällen der Selbstverteidigung wird Krieg abgelehnt. Alle diplomatischen Bemühungen sind auf die Vermeidung von Gewalt und Konflikten ausgerichtet. Zur Diplomatie erklärt Öcalan:

„Eine Diplomatie, die in der Tradition der demokratischen Nation wieder zu einem Mittel für mehr Frieden, Solidarität und kreativen Austausch zwischen den Gesellschaften wird, beschäftigt sich im Wesentlichem mit der Lösung von Problemen. Die Diplomatie der demokratischen Nation ist kein Mittel des Krieges, sondern des Friedens und positiver Beziehungen. Sie stellt eine Mission mit hohem moralischem und politischem Wert dar, in der weisen Menschen eine Rolle zukommt. Sie trägt insbesondere dazu bei, freundschaftliche Beziehungen und Prozesse des gegenseitigen Nutzens zwischen benachbarten Völkern und verwandten Gemeinschaften in Gang zu setzten und auszubauen. Sie ist eine Triebkraft für gemeinsame Gesellschaftlichkeit und die Synthese von Gesellschaften auf einer höheren Ebene. Die Kurd:innen brauchen heute dringend eine Diplomatie zwischen ihm und seinen Nachbarvölkern sowie auch auf globaler Ebene. Positive diplomatische Aktivitäten spielen eine wichtige Rolle bei der Sicherung und Erhaltung ihrer Existenz. In jüngster Vergangenheit, während der Phase der kapitalistischen Moderne, waren die Kurd:innen vielleicht das Volk, dass bei diplomatischen Verhandlungen am meisten verloren hatte. Im gesamten 19. und 20. Jahrhundert, der Aufteilung des Mittleren Ostens und der Bildung der Hegemonie durch das kapitalistische System haben die Kurden die Rolle des Opfers gespielt. Insbesondere im Ersten und Zweiten Weltkrieg waren sie die tragischsten Opfer.“ (6)

Demokratische Autonomie als Verkörperung des demokratischen Konföderalismus

Der demokratische Konföderalismus als System konstruiert und organisiert sich durch demokratische Autonomie. Alle Einheiten innerhalb der konföderalen Struktur organisieren sich autonom. Diese Strukturen können Volksversammlungen, Genossenschaften oder Akademien sein. Die grundlegende Einheit dieser Strukturen ist die Kommune. In diesem Zusammenhang sind die Volksversammlungen und Volkskongresse die grundlegenden Institutionen für die Umsetzung einer radikalen und direkten Demokratie. Um die wirtschaftlichen Probleme der Gesellschaft zu lösen und die Bedürfnisse der Gesellschaft zu befriedigen, sind die genossenschaftlichen Strukturen unabdingbar. Die Bildung ist der wichtigste Bereich des gesellschaftlichen Bewusstseins. Die Aufklärung der Gesellschaft wird die ordnungsgemäße Umsetzung und Aufrechterhaltung des Systems gewährleisten. Es ist wichtig, alle Teile der Gesellschaft durch die Einrichtung von Volksakademien zu erreichen.

„Die zweite Dimension betrifft die Neugestaltung des gesellschaftlichen Daseins entsprechend der geistigen Welt. Wie wird die Gesellschaft gemäß der gemeinsam geteilten nationalen Gedankenwelt neu ausgerichtet? Diese Neuausrichtung der physischen Existenz erfolgt auf der Grundlage der demokratischen Autonomie. Die demokratische Autonomie können wir im weiteren und im engeren Sinne definieren. Im weiteren Sinne bedeutet die demokratische Autonomie die demokratische Nation. Die demokratische Nation besitzt ein breiteres Spektrum von Dimensionen. Wir können sie ausführlich in ihren kulturellen, wirtschaftlichen, sozialen, rechtlichen, diplomatischen und anderen Dimensionen definieren. Im engen Sinne drückt die demokratische Autonomie die politische Dimension aus und bedeutet auch demokratische Autorität oder Leitung.“ (7)

Wir können uns die Dimensionen der demokratischen Autonomie genauer ansehen:

Die Kommune ist die grundlegende Einheit der demokratischen Autonomie. Ohne Kommunen können keine Räte gebildet werden. In dieser Hinsicht ist die Kommune die kleinste organisierte Struktur innerhalb der Gesellschaft. In einem demokratischen System sollte kein Bürger ohne Gemeinde sein. Jeder muss mindestens einer Kommune angehören. Die Kommune ist also die grundlegende Struktur für die demokratische Autonomie, in der freie Individuen zusammenkommen, um alle Aspekte des Lebens zu diskutieren, Entscheidungen zu treffen und die notwendigen Maßnahmen zu planen. Die Kommune kann in allen Dörfern und Städten organisiert werden. Ohne den Aufbau von Dorf- und Straßenkommunen können keine Stadtteil- und Stadträte gebildet werden.

Die Räte sind die Selbstverwaltungsstrukturen, die von freien Personen gebildet werden. So setzt sich beispielsweise ein Stadtteilrat aus Vertretern aller Straßenkommunen innerhalb eines bestimmten Stadtteils zusammen. Wenn ein Viertel zwölf Straßen hat, dann sind zwölf Kommunen in diesem Stadtteilrat vertreten. Die Kommunen werden entsprechend ihrem Bevölkerungsanteil vertreten. Einige Gemeinden können zwei, andere vier Vertreter:innen haben. Die Vertretung der Geschlechter muss ausgewogen sein. Der Stadtteilrat bildet Kommissionen, die sich nach den Bedürfnissen des Stadtteils richten. Im allgemeinen Sinne sind diese Räte die Domänen für die politische, wirtschaftliche, soziale und ökologische Organisation aller ethnischen, religiösen, geschlechtlichen, beruflichen und kulturellen Gruppen innerhalb der Gesellschaft. Im demokratischen konföderalen System sind die Versammlungen auf der Ebene der Stadtteile, Städte und Regionen organisiert.

Die Grundsätze der demokratischen Autonomie in Gemeinden und Versammlungen können wie folgt aufgelistet werden:

Die Diskussionen, die Entscheidungsfindung und die Umsetzung der Beschlüsse sollten mit den Bürger:innen durchgeführt werden.

Die paritätische Vertretung (Geschlecht, Jugend, Minderheiten usw.) muss umgesetzt werden.

Ko-Sprecher:innen sollten in allen Kommissionen und Komitees eingesetzt werden.

In allen Ortschaften müssen Frauenkommunen und -räte gebildet werden.

In allen Ortschaften müssen Jugendkommunen und -räte gebildet werden.

Alle Institutionen des demokratischen konföderalen Systems müssen die Grundsätze der demokratischen Autonomie umsetzen.

Alle Kommunen und Räte müssen ihre Autonomie und Selbstverteidigung entwickeln.

Öcalan beschreibt die Funktionsweise des Systems wie folgt:

„Wir müssen auch darauf achten, die föderalen Einheiten oder Selbstsein-Einheiten in einem sehr reichen Umfang zu denken. Wichtig ist, zu verstehen, dass sogar ein Dorf oder ein Viertel konföderale Einheiten brauchen wird. Jedes Dorf oder jedes Viertel kann durchaus einen konföderalen Zusammenschluss darstellen. Beispielsweise müssen sich zahlreiche direkt-demokratische Einheiten von der ökologischen Einheit (bzw. dem föderalen Element) bis zu den Einheiten der freien Frau, der Selbstverteidigung, Jugend, Bildung, Folklore, Gesundheit, gegenseitigen Hilfe bis zur Wirtschaft auf der Ebene des Dorfes zusammentun. Diese neue Einheit der Einheiten können wir einfach konföderale Einheit (Einheit der verbundenen föderalen Einheiten) oder konföderalen Zusammenschluss nennen. Wenn wir dasselbe System auf die lokale, regionale, nationale und bis auf die globale Ebene tragen, sehen wir leicht, welch umfassendes System der demokratische Konföderalismus ist.“ (8)

Rojava als Beispiel für einen demokratischen Konföderalismus und eine demokratische Nation

Seit 2012 ist in Rojava ein revolutionärer Prozess im Gange. Die Erfahrungen mit dieser Revolution sind historisch und verdienen eine genauere Betrachtung. Der nationalstaatliche Faschismus und die aus dem von ihm verursachten Chaos entstandene Organisation ISIS haben Syrien in ein Blutbad verwandelt. Seit 2011 haben fast eine halbe Million Menschen ihr Leben durch die Gewalt verloren. Millionen von Menschen wurden vertrieben. Das Land ist zerstört und der Konflikt dauert an. Rojava im Norden Syriens ist ein Beispiel für Menschlichkeit inmitten des Chaos in Syrien. Rojava hat der ganzen Welt eine Botschaft vermittelt, als es in der Lage war, seine Selbstverteidigung zu organisieren und wichtige Siege gegen die unmenschlichen Banden zu erringen, die in der Region aktiv sind. Diese Botschaft zeigt, dass selbst inmitten eines blutigen Krieges Völker und Gemeinschaften in einem System demokratischer Nationen koexistieren können, in dem Freiheit, Gleichheit und Gerechtigkeit herrschen.

Trotz aller Bemühungen des türkischen und des syrischen Staates versuchen unter anderem in den Kantonen Cizire, Kobanê und Afrin in Rojava Kurd:innen, Araber:innen, Assyrer:innen, Turkmen:innen, Muslime, Christen, Aleviten, Jesiden und alle anderen ethnischen und religiösen Gruppen, ein gemeinsames demokratisches System zu bilden. Derzeit werden in allen Kantonen von Rojava Kommunen, Räte und Kooperativen gebildet. Sogar in der Stadt Kobanê, in der der Islamische Staat vor den Augen der ganzen Welt besiegt wurde, werden diese Arbeiten durchgeführt. Natürlich kann man nicht sagen, dass alle Institutionen bereits in völliger Übereinstimmung mit den Grundsätzen des demokratischen Konföderalismus agieren. Es wäre unrealistisch, zu erwarten, dass dies unter den gegenwärtigen Umständen so schnell der Fall sein könnte. Man darf nicht erwarten, dass die Institutionen und Mentalitäten, die der Nationalstaat über einen langen Zeitraum hinweg aufgebaut hat, so schnell überwunden werden können.

Diese Revolution bewirkt einen bedeutsamen und historischen Wandel, obwohl sie intensiven Angriffen und einem schweren Embargo ausgesetzt ist. Rojava ist für den Nahen Osten ein Beispiel für eine demokratische Nation, die den demokratischen Konföderalismus verkörpert und in der gesellschaftliche Probleme durch die Einrichtung von Kommunen, Räten und Kongressen gelöst werden. Rojava ist ein Wert für die Menschheit und erwartet die Unterstützung und Solidarität der demokratischen und fortschrittlichen Völker der Welt.

Neben Rojava und dem Şengal wird auch in Nordkurdistan ein demokratischer Konföderalismus und eine Selbstverwaltung aufgebaut. Der türkische Staat hat sich jedoch dafür entschieden, diese friedliche und gesellschaftliche Initiative mit staatlichem Terror militärisch zu unterdrücken. In den Jahren 2015 und 2016 hat der türkische Staat in den Städten Cizre, Silopi, İdil, Şırnak, Nusaybin, Derik, Kerboran, Silvan, Sur und Varto Massaker an der Zivilbevölkerung verübt, um die Bestrebungen der Selbstverwaltung zu unterdrücken. Trotz der genozidalen Versuche des türkischen Staates wird auch in Nordkurdistan der Aufbau demokratisch konföderaler Strukturen vorangetrieben.

Schlussfolgerung

Für die Menschheit ist die gesellschaftliche Arbeit seit jeher eine tief verwurzelte Verantwortung. Das Streben nach der Entwicklung der Gesellschaft war schon immer spannend und intensiv. In dieser Hinsicht ist die gesellschaftliche Arbeit relevant für die historischen Realitäten der Menschheit. Daher ist der demokratische Konföderalismus nicht nur ein philosophisches, politisches, ethisches, kulturelles und soziales Paradigma, sondern auch ein Vorschlag für eine Lösung der humanitären Krisen unserer Zeit.

Abschließend erklärt Abdullah Öcalan seine Gedanken, Gefühle und Begeisterung über den demokratischen Konföderalismus als Verkörperung des demokratischen, ökologischen und auf Frauenbefreiung beruhenden Paradigmas:

„Wenn es nach mir ginge, machte ich mich, wo immer mich mein Weg hinführte – in mein eigenes Dorf, auf den Berg Cûdî, an die Hänge des Berges Dschilo, in die Gegend des Van-Sees, auf den Ararat, das Munzur- und das Bingöl-Gebirg, an die Ufer von Euphrat, Tigris und Zap, bis in die Ebenen von Urfa, Muş und Iğdır – an die ARBEIT; als hätte ich gerade die Arche Noah nach dem großen Sturm verlassen; als sei ich auf der Flucht wie Abraham vor den Nimrods, wie Moses vor den Pharaonen, wie Jesus vor dem Römischen Reich und wie Mohammed vor der Dschāhilīya; anknüpfend an Zarathustras Leidenschaft für den Ackerbau und seine Tierliebe (er war der erste Vegetarier); inspiriert von ihnen allen und der gesellschaftlichen Realität. Meine Aufgaben wären zahllos. Ich könnte sofort beginnen, Dorfkommunen aufzubauen. Welch eine begeisternde, befreiende und gesunde Aufgabe wäre es, eine nahezu ideale Kommune eines oder mehrerer Dörfer zu bilden! Wie kreativ und befreiend wäre es, eine Stadteil- oder Stadt-Kommune oder einen Rat zu gründen und zu unterhalten! Was könnte es alles auslösen, in der Stadt eine Akademie-, eine Kooperativen-, eine Fabrik-Kommune zu bilden! Welche Freude und Ehre wäre es, allgemeine Demokratie-Kongresse und -Räte des Volkes zu bilden, dort zu sprechen und zu arbeiten! Wir sehen: Den Sehnsüchten und Hoffnungen sind keine Grenzen gesetzt, und es gibt kein ernsthaftes Hindernis für das Individuum, sie zu verwirklichen, außer sich selbst. Es braucht nur wenig gesellschaftliches Ehrgefühl und ein wenig Liebe und Vernunft.„[9]


(1) Abdullah Öcalan, Soziologie der Freiheit (Manifest der demokratischen Zivilisation, Band III)

(2) Abdullah Öcalan, Die demokratische Zivilisation – Wege aus der Zivilisationskrise im Nahen Osten (Manifest der demokratischen Zivilisation, Band IV)

(3) Abdullah Öcalan, Manifest der demokratischen Zivilisation, Band V [Das Buch erschien 2011 auf Türkisch. Es wurde von Öcalan auf der Gefängnisinsel Imrali verfasst. Auf Deutsch lautet der Titel in ungefähr: Die kurdische Frage und die Lösung der Demokratischen Nation. Eine deutsche Übersetzung liegt bisher noch nicht vor.]

(4) Abdullah Öcalan, Soziologie der Freiheit, Manifest der demokratischen Zivilisation, Band III

(5) Abdullah Öcalan, Demokratische Nation (Broschüre)

(6) Abdullah Öcalan, Soziologie der Freiheit, Manifest der demokratischen Zivilisation, Band III

(7) Abdullah Öcalan, Manifest der demokratischen Zivilisation, Band V