“ Im April 1995, einige Monate vor dem Beginn der Weltfrauenkonferenz in Beijing, besuchte die First Lady der USA, Hillary Clinton, Bangladesch. Hillary besuchte die Frauen aus dem Dorf Maishahati und stellte ihnen Fragen. Die Frauen sagten auch alle ganz stolz: Ja, sie hätten ein eigenes Einkommen und auch „Eigenkapital“ in Form von Kühen, Hühnern, Geflügel usw. Ihre Kinder gingen zur Schule. Aber Hillary war nicht auf die nächste Runde vorbereitet, als die Frauen ihr plötzlich dieselben Fragen stellten. Der Austausch von Fragen und Antworten zwischen den Dorffrauen und Hillary verlief wie folgt: • Apa (Schwester), hast du Kühe? • Nein, habe ich nicht. • Hast du ein eigenes Einkommen? • Ja, früher hatte ich das. Aber seit mein Mann Präsident wurde und ich ins Weiße Haus ziehen mußte, habe ich aufgehört, Geld zu verdienen. • Wie viele Kinder haben Sie? • Eine Tochter. • Möchten Sie noch mehr Kinder haben? • Ja, ich wünschte mir noch ein oder zwei weitere Kinder, aber wir sind ganz glücklich mit unserer Tochter. Da sagten die Dorffrauen: „Arme Hillary!“ Hillary hat keine Kuh, kein eigenes Einkommen, und sie hat nur eine Tochter. Hillary war in den Augen der Dorffrauen aus Bangladesch keine „ermächtigte“ Frau. Eigentlich hatten sie Mitleid mit ihr. „1
Wie unterschiedlich unsere Perspektiven sind, zeigt dieses Beispiel von Maria Mies sehr deutlich. Denn wenn wir auf die heutige Zeit blicken, so betrachten wir die Welt aus einer bestimmten Perspektive, mit einer bestimmten Weltanschauung, ob bewusst oder unbewusst. Wenn wir die heutige Zeit betrachten, können wir davon sprechen, dass wir immer weniger Kultur erleben, dass wir uns in einer kulturellen Krise befinden. Einem kulturellen Genozid, denn die Kultur, die wir heute noch kennen, steht unter großen Druck in ein kapitalistisches System assimiliert, verkauft oder vernichtet zu werden. Wir können von einemKrisen und Chaos Moment sprechen,von einem Krieg gegen die Menschheit und die Natur, gegen Frauen, gegen die Jugend, gegen eine Gesellschaft. Die Gesellschaft ist mit einem Soziozid konfrontiert, also der Zerstörung von Gesellschaft und damit einhergehend Kultur.Dabei umfasst Kulturalles, von dem Beispiel einer dörflichen-natürlichen Kultur der Dorffrauen aus Maishahati, bis zu der Kultur des Theaters und der Kunst, es ist das verbindende Element einer Gesellschaft. Doch wie kann Kultur betrachtet werden, wie können wir Kultur wieder mit einer Bedeutung füllen und wie diese in einem revolutionären Kampf nutzen? Abdullah Öcalan schreibt in seinen Verteidigungsschriften, insbesondere in der Soziologie der Freiheit, über den Widerstand von Kultur und formuliert wie Kultur und Tradition von dem Rande des Aussterbens als die Rache gegenüber dem Nationalstaat interpretiert werden kann. Was also bedeutet Kultur?
Wir können Kultur allgemein als Ausdruck des Bewusstseins einer Gesellschaft über sich selbst definieren. Kultur ist die Welt der Sinnstiftung, der Mentalität, der Kunst und der Wissenschaft einer Gesellschaft. Mit Kultur ist eine Gesellschaft lebendig, mit ihrer eigenen Sprache hat sie eine eigene Identität und eine Rechtfertigung des Lebens. Kultur ist der Kern einer sich entwickelnden und lebendigen Gesellschaft, sie ist umfassender als eine Mentalität und Sprache, aber sie beinhaltet auch die materielle Anhäufung einer Gesellschaft wie Werkzeuge und Mittel zur Erfüllung von Bedürfnissen, Lebensmittelproduktion, alle Transportmittel, Verteidigung, Religion und Schönheit.
Durch die Zerstörung und Assimilation von Bräuchen, Traditionen und Sprachen vergisst die Gesellschaft, wer sie ist, und ihre Lebenswerte und eigene kulturelle Identität gehen allmählich verloren. Ausgehend von der Kolonisierung Kurdistans und dem kulturellen Völkermord, den das kurdische Volk erlitten hat und erleidet, betont Abdullah Öcalan, wie dieser gewalttätige Vernichtungsprozess ablief und die Grundlage für die Entstehung von Nationalstaaten bildete. Wenn wir uns die Geschichte der Orte, aus denen wir stammen, oder die Geschichte unserer Familien ansehen, finden wir zahlreiche Aknküpfungsbeispiele dafür, wie dies geschah. In nur zwei oder drei Generationen sind Traditionen und Bräuche, aber auch zahlreiche Dialekte und Sprachen verschwunden oder verblasst. Und vor allem mit Fokus auf Europa sehen wir einen Friedhof der Sprachen und Kulturen vor uns brach liegen, in denen die Blumen des Widerstandes unter diesem verborgen sind.
In dem Prozess, in dem der Nationalstaat der Gesellschaft mit Gewalt und Assimilierung aufgezwungen wurde, verloren die Menschen ihr kommuales Land, ihre Gemeinschaft und ihre eigene Identität. Die Nation, die auf einer dominanten Ethnizität, Religion, Konfession oder einem anderen Gruppenphänomen basiert, löschte viele Traditionen und Kulturen durch Völkermord oder Assimilation aus. Tausende von Stämmen und Völkern wurden so mit ihren Sprachen, Dialekten und Kulturen zusammengebracht und als ein „neues“ Land bzw. eine Nation definiert. Viele Religionen, Glaubensrichtungen und Sekten wurden verboten, Folklore und Traditionen, und diejenigen, die sich nicht assimilieren ließen, wurden vertrieben und ausgegrenzt. Dementsprechend wurde ein Nationalismus mit dem Motto „eine Sprache, eine Flagge, eine Nation, ein Vaterland, ein Staat, eine Hymne, eine Kultur“ etabliert. Zum Beispiel existieren viele verschiedene Kulturen, Ethnien und Regionen der germanische Nation wie die Friesen, die Sorben, die Ladiner und Südtirol, Elsass, Flandern. Aber durch die Umwandlung in den modernen Nationalstaat wurden viele dieser Nationen langsam zu „Deutschland“, wobei nur die deutsche Standardsprache übrig blieb und sie ihre Kleidung, ihre Lebensweise, ihre Tiere und ihr Land, ihre Tänze und Lieder verloren. Wir beziehen uns auf dieses Beispiel, weil es nur exemplarisch für all die Nationen, Kulturen und Religionen in Europa steht, deren Namen nicht in der allgemeinen Schulbildung einen Platz finden. Wir finden viele weitere Beispiele in Europa wie das Baskenland, Galizien, Aragon, die katalonischen Länder und das Asturische Volk im spanischen Staat, Occitanien, Corsica und die Bretagne im französischen Staat, Sizilien, Veneto, Friaul, Sardinien und Südtirol im italienischen Staat, das Irisch-Gälische(Éire),Wales(Cymru)und Schottland (Alba)im Vereinigten Königreich oder auch die Sami in den norwegischen, schwedischen, finnländischen und russischen Staaten2. Die Welt ist so groß und wir müssen über die eigene Perspektive hinausgucken, denn weltweit finden wir tausende von mehr Beispiele von Nationen, die mit viel Gewalt und Assimilierung versucht wurden in den Nationalstaat zu integrieren. Einen der bedeutendsten und erfolgreichsten Widerstände gegen den Nationalstaat und seine kapitalistische-patriarchale Ideologie finden wir in Kurdistan und in Nord- und Ostsyrien/ Rojava, das mit Assyrern, Armeniern, Drusen, Christen, Alawiten, Syrern, Arabern und vielen weiteren gemeinsam einen Ort des kulturellen Widerstandes und des gemeinsames demokratisch konföderalem Zusammenlebens und Organisierens geschaffen haben. Desweiteren finden wir den Widerstand der Belutschen, der Tamilen, der Oromo, der Amazigh, der indigenen Völker in Abya Yala und noch viele weitere.
Und wenn wir einmal mit der Suche beginnen, finden wir tausende Farben in unserer heutigen Gesellschaft, an Kulturen, Traditionen, Nationen und Sprachen. Diese wunderschönen verschiedenen Farben vieler dieser Kulturen wurden im Laufe der Jahre unter einer grauen monochromen Masse aus Beton begraben und es liegt an uns, sie durch einen gemeinsamen Kampf wieder aus dem Beton hervorbringen und wachsen zu lassen.
Das Mosaik einer Blume
Mit der Institutionalisierung von Nationalismus, Liberalismus und Sexismus in den letzten Jahrhunderten ist eine andere Form der Unterdrückung der Kultur sichtbar geworden, Assimilation und Zerstörung. In vielem finden wir aber auch noch ursprüngliche Werte, die es wiederzubeleben gilt. Denn Kultur hat sich auch immer wieder verändert, es kamen neue Rituale dazu, andere haben sich herausentwickelt. Kultur war etwas lebendiges, sich veränderndes, wie eine Blume, die jedes Jahr von neuem zu blühen beginnt und doch nie ganz gleich aussieht. Eine Blume wächst im und ist verbunden mit dem Jahreszyklus, formt dabei neue Blätter, entwickelt sich mit den sich verändernden Bedingungen der Umwelt. Eine Blume besteht aus vielen einzelnen mosaikähnlichen Teilen, die zusammen wachsen und sich beeinflussen, ähneln wie auch Kultur, in der die vielen Aspekte einer Gesellschaft oder kulturellen Bewegung in allen Lebensbereichen wiederzufinden sind.
Ein Beispiel ist die Sprache, sie ist Ausdruck der Gesellschaft. Mit Sprache kommunizieren wir, drücken uns aus und entwickeln unser Leben, sie ist Teil unserer Identität und der Existenz von Sinn und Emotion. Jede Region hatte ihre typischen Wörter, die zur Beschreibung von Natur und Arbeit verwendet wurden, und viele Dialekte, Sprachen wurden zur internenKommunikation verwendet. Sprache war wichtig, um die eigenen Gefühle und Eigenschaften darin zu beschreiben. In der Sprache von indigenen Gemeinschaftenzum Beispiel ist die ganze Gemeinschaft traurig, wenn jemand traurig ist. In der Sprache gibt es keine Wörter für einzelne,alleinstehendeGegenstände, wie z. B. Steine, sondern es wird beschrieben, wie das Wasser eine bestimmte Form eines Steins bildet. Die Beschreibung ist alsolebendig, alles ist lebendig und man als Gesellschaft steht in einer Beziehung dazu, die Wörter für Objekt und Subjekt sind nicht so klar abgegrenzt wie in den Nationalstaats- und Kolonialisierungssprachen. Substantive werden als starr beschrieben, aber Verben existieren in verschiedenen Variationen und sind fließend, bringen Leben in eine Bucht, beschreiben das Kommen und Gehen des Wassers, das Geräusch von Wasser, das die scharfen, heißen Steine in der Bucht berührt, beschreiben den feinen Wind der frischen Meeresluft und die Stille, während man den Geräuschen eines lebendigen Körpers lauscht, unserer Mutter Erde3. Und wenn wir ein Beispiel aus Kurdistan nehmen, können wir dort keine Wörter finden, die Eigentum definieren. Dinge existieren, sie sind da, aber man kann sie nicht als die eigenen bezeichnen. Die kurdische Sprache ist eine weibliche Sprache, eine alte Sprache, in der immer noch viele Wörter weiblich oder auf die Mutter bezogen sind. Zum Beispiel beschreibt das Wort „ma“ Wasser und wurde später zu „mama“, was wir als Mutter kennen.
Dies ist nur ein Beispiel dafür, wie Sprache mit unseren Müttern verbunden ist, und selbst der Name einer Muttersprache ist ein Beispiel dafür, dass wir durch die Mutter lernen, mit der Gesellschaft und dem Leben zu kommunizieren. Je mehr sich eine Gesellschaft entwickelt, desto mehr etabliert sie auch eine Sprache des Lebens. Die eigene Identität aufzugeben bedeutet dann, wie ein Blatt von einem Baum in das Bodenlose zu fallen.
In vielen Kulturen gibt es darüber hinaus Sprechgesang, wie das kurdische Dengbêj, in denen Geschichten und Lebensweisheiten weitererzählt werden. In der samischen Kultur wird mit Joik Menschen, Tiere und Naturphänomene besungen, während das alpinische Jodeln der Kommunikation mit Kuhherden oder auch zwischen Dörfern diente. So unterschiedlich diese Gesänge auch klingen und auch deren Funktion in der Gesellschaft eine andere ist, so kann doch gesehen werden, dass mit Liedern und Gesang über Jahrhunderte hinweg Erfahrungen und Perspektiven des Lebens weitergegeben wurden. Es ist eine Kultur und Tradition, die nur mündlich bis heute überliefert wird und die leider immer weniger Menschen erlernen, auch selbst die Sprechgesänge an die nächste Generation weiter zu geben.
Wenn wir uns Kreistänze ansehen, können wir erkennen, dass sich in der Gesellschaft viel verändert hat. Jeder Kreistanz, sogar jede Bewegung, hatte eine Bedeutung, wurde beispielsweise nur für eine gute Ernte getanzt, während man zur Muttergöttin sang und betete. Zum Beispiel bedeutete das Stampfen, den Samen tief in die Erde zu bringen, und daher kommt das deutsche Sprichwort „etwas aus dem Boden stampfen“. Oder das Bilden eines Tores in vielen Kindertänzen symbolisierte das Tor zur Unterwelt. Es gab spezielle Tänze, die beispielsweise das Wissen über die Getreideernte vermittelten, oder Tänze, die die Bewegungen beim Weben mit Wolle nachstellten. Die meisten dieser Tänze waren offene Kreise mit einfachen Schritten, sodass die gesamte Gesellschaft leicht daran teilnehmen konnte. Es war mit der ganzen Welt verbunden und es gab keine einzelnen Kategorien wie Tanz, Gesang oder Theater4. Im europäischen Kontext gab es Tausende verschiedener Kreistänze, aber nur in wenigen Kulturen sind sie noch lebendig. Viele Tänze gingen auch durch Gesetze verloren, die das Tanzen verbieteten, weil man wusste, dass es so viel mit der Bedeutung und der Existenz einer lebendigen, dörflich-natürlichen Gesellschaft zu tun hat. Diese Linie der Destabilisierung und Zerstörung der Gesellschaft besteht immer noch und wir können sie im türkischen Staat sehen, der kurdische Govend verbietet. Nur wegen eines Tanzes kann man also heutzutage ins Gefängnis kommen.
Kultur können wir aber auch in den alltäglichsten Dingen der Welt wiederfinden. Die Kultur Brot herzustellen, ist eine der ältesten Kulturformen, die wir kennen. Es hat bis heute eine heilige Bedeutung und es gibt viele Kulturen in denen Brot nur von Frauen hergestellt werden kann und darf. Wir finden Geschichten und Märchen über die Bedeutung von Brot, über die Bedeutung des Weizen (oder Mais) gibt es unzählige Lieder und Bräuche. Brot wird gelobt, angebetet, gesegnet, verflucht, bestimmt über Tod und Leben in den alten Weisheiten. So wurde Brot wegzuschmeißen als „eibe“ (beschämend) im nahen und mittleren Osten bezeichnet. Aber es gibt auch indigene Völker in Abya Yala, deren Häuser, deren Zuhause um den Tandoor (traditioneller Backofen) herum aufgebaut sind. Diese Häuser sind also nur der Backofen, denn für sie bedeutet Brot Leben und ohne Brot kein Leben.
Kultur als Widerstand ist nicht nur in kulturellen Bewegungen vertreten, sondern als Widerstand gegen die kapitalistische Moderne auch im feministischen Kampf, im religiösen oder im ökologischen Kampf. Wir sehen, dass Kultur ein wichtiger Teil eines Kampfes ist und sich daraus selbst erschaffen kann. Wir schaffen Kultur selbst, durch unsere Art, das Leben anzugehen und zu kämpfen. Wir formen eine Kultur der Werte und Moral, der Ethik und Ästhetik in der Art, wie wir kämpfen.
Die Gesellschaft des Spektakels zerstört das Erbe einer Kultur der Frau
Aber die Kultur, die noch existiert, wird versucht in ein System zu intergrieren, anzupassen und damit zu assimilieren. Viele Traditionen wurden in den letzten Jahren liberalisiert und wurden zu etwas, für das man bezahlen muss, und in verschiedener Hinsicht zu einem Spektakel. Tänze wie Kreistänze gab es eine Zeit lang für die „einfachen“ Leute, während sich in Mitteleuropa immer mehr Walzer, Ballett oder Salsa etablierten. Die Form der Tänze wurde in ihrer Bedeutung aufgebrochen und der Paartanz entstand. Vor allem in den letzten fünfzig Jahren wurden viele Traditionen und Kulturen vom System übernommen und umgewandelt. Was früher mit der Gesellschaft und dem Leben verbunden war, wurde zu etwas Individualistischem, zu etwas ohne Worte und Bedeutung. Es wurde zu einer Attraktion, die Frauen in kurzen Kleidern wurden zu etwas, das man sich ansah. Durch die zunehmende Etablierung einer „Gesellschaft des Spektakels“ wird der Gesellschaft viel Kultur entzogen und in einer Industrie geformt. Unter dem Einfluss des Systems sind viele Gemeinschaften zunehmend rückständig und gefügig geworden. Viele Philosophen haben darauf hingewiesen, dass die Gesellschaft in die Ordnung des Zoos übergegangen ist: Wie ein Zoo wurde die Gesellschaft in ein Spektakel verwandelt. Die Sport-, Kunst- und Kulturindustrie und insbesondere die Sexindustrie bombardieren die emotionale und analytische Intelligenz intensiv und kontinuierlich durch breit angelegte Werbekampagnen. Die vollständige Dysfunktion beider Arten von Intelligenz vervollständigt die mentale Eroberung der Gesellschaft des Spektakels. Aber während und nach dem Kalten Krieg hat das System die Gesellschaft des Spektakels über alle Gesellschaften durch Nationalstaaten und globale Finanzunternehmen dominieren lassen5. Diesen Soziozid durch die Umwandlung und Assimilierung von Kultur zu einem Spektakel, wie die eines Zoos können wir auch als Feminizid definieren. Während die Mutter und die Frau die Hüterin der Kultur, der Tradition, der Sprache und der Weisheit war und immer noch ist, versuchte das patriarchale System, diese Verbindung zur Gesellschaft und zum Leben vollständig zu kappen. Sie war diejenige, die die Verbindung zur Natur herstellte, die der nächsten Generation Weisheit und Geschichten durch Lieder vermittelte, sie war diejenige, die spezielle Tänze und Rituale hatte, um schwanger zu werden, um auf den Feldern zu arbeiten, sie war diejenige, die die Gesellschaft durch Theater über Moral und Werte eines friedlichen Zusammenlebens in der Gemeinschaft unterrichtete.
Ein gutes Beispiel für Frauen und Kultur ist Weben. Weben ist Teil einer sehr alten Kultur. In alten Traditionen und Märchen webten Frauen mit ihren Spindeln das Leben, sie entschieden, indem sie die Spindel durchtrennten und die losen Fäden zu einem Netz zusammenwebten.
Beim Weben kamen sie zusammen, sprachen und sangen über das Leben, bildeten sich selbst weiter und bildeten das Zentrum einer Gemeinschaft. Vor 500 Jahren existierte diese Kultur in Europa noch, es gab Zünfte, in denen nur Frauen webten und arbeiteten und die autonom zusammenlebten. Es gab auch religiöse Gruppen wie die Beginen, die sich autonom organisierten und eine eigene Kultur und Religion hatten, die nicht so dogmatisch war wie die aufkommende Christianisierung. In der Zeit der Industrialisierung wurden viele dieser Orte, an denen sich Frauen selbst organisierten und Kultur schufen, verboten. Frauen wurden aus Zünften ausgeschlossen, es war verboten zu tanzen und allein oder nur mit Frauen zu leben.
Die Manipulation der Gesellschaft und die Unterdrückung der Frauen wurden dann institutionalisiert, indem sie zu einem sexuellen Objekt für eine Sexindustrie wurden. Die Frauen wurden zu Hausfrauen, ihr Wissen über die Natur und die Kultur wurde mit dem Tod als Hexe bestraft und verfolgt. Die Hexenjagd über Hunderte von Jahren wurde zum größten Frauenmord und Feminizid in der Geschichte Europas und ein Großteil der Frauenkultur wurde aus der Gesellschaft verbannt. Der Missbrauch der Sexualität ist eines der wichtigsten Mittel der hegemonialen Kräfte, um die kapitalistische Moderne um jede Blume des Lebens herum zu zementieren. Die Menschen wurden dazu gebracht, Erfolg in sexueller Macht zu suchen. Sex sollte die Funktion haben, eine lehrreiche Aktivität zu sein, um bei allen Menschen Bewusstsein und Ewigkeit des Lebens zu schaffen; daher ist er nicht nur bedeutungsvoll, sondern auch heilig. Das System hat die Sexualität in der Gesellschaft korrumpiert und sie in die Religion des dominanten männlichen Sexismus verwandelt. Die Frau wurde zu einem Objekt, das Kinder für die neue aufkommende Industrialisierung gebar, sie wurde passiv und zu etwas, das es zu erobern galt. Ihre Existenz als Hüterin der Kultur verwandelte sich in ein Objekt, das nichts mehr erschuf, die Spindel des Webens und des Lebens begraben unter den Maschinen der Männer.
“ Unser heutiger Kampf kann nur wachsen und gedeihen, wenn er auf seinen Wurzeln, auf seinen Traditionen beruht.“ – Abdullah Öcalan
Während die kapitalistische Moderne uns weismachen will, dass es nur grauen Beton gibt, dass es nur Nationalstaaten gibt und dass Kultur Teil der Industrialisierung ist, können wir überall auf der Welt die verschiedenen Farben der Blumen des Widerstands sehen. In einer demokratischen Gesellschaft können alle sozialen Gruppen auf der Grundlage von Unterschieden, die sich um ihre eigene Kultur und Identität bilden, koexistieren, ohne auf eine einheitliche Kultur und Staatsbürgerschaft beschränkt zu sein. Abdullah Öcalan beschreibt eine demokratische Gesellschaft als eine natürliche Gesellschaft, die sich selbst kennt und voller Möglichkeiten zur Selbstorganisation, Selbstversorgung und Selbstverteidigung steckt. Natürliche Gesellschaften hat es in der Geschichte immer gegeben und sie basieren auf einem eigenen Kampf, einer Identität mit Moral und Werten. Gemeinschaften können ihr Potenzial in diesen Unterschieden offenbaren, sei es in politischer Hinsicht oder in Bezug auf die Identität, und es in ein aktives Leben verwandeln. Keine der Gemeinschaften hat Bedenken, dass sie homogenisiert und in gleich aussehenden Beton gegossen werden könnten, alle haben ihre Daseinsberechtigung und kämpfen miteinander. Uniformität wird als Missbildung, arm und langweilig angesehen. Vielgestaltigkeit hingegen bietet Reichtum, Schönheit und Toleranz. Freiheit und Gleichheit gedeihen unter diesen Bedingungen. Tatsächlich sind Freiheit und Gleichheit, die durch Nationalstaaten erreicht werden, nur Monopolen vorbehalten, wie sich weltweit gezeigt hat. Macht- und Kapitalmonopole lassen niemals wahre Freiheit oder Gleichheit zu. Freiheit und Gleichheit können nur durch die demokratische Politik einer demokratischen Gesellschaft erreicht und durch Selbstverteidigung geschützt werden.
Die demokratischen Nationen auf der ganzen Welt zeigen uns, dass sie sich verteidigen können, dass sie immer noch in verschiedenen Farben und Formen von Blumen erstrahlen. Auf jeden Fall zeigen sie uns, wie Abdullah Öcalan es im folgenden Zitat ausdrückt, dass „Tradition und Kultur an sich Widerstand bedeuten. Kulturen und Traditionen werden entweder zerstört oder überleben, weil eine ihrer Eigenschaften darin besteht, dass sie nicht kapitulieren können. Kulturelle Bewegungen sind eine Form des Widerstands und eine demokratische Kraft, die ihren Widerstand durch ihre Existenz in der kapitalistischen Moderne zeigen. Diese Tatsache wurde vom nationalstaatlichen Faschismus nicht berücksichtigt. Sie zu unterdrücken oder gar zu assimilieren bedeutet nicht ihr Ende. Der Widerstand der Kulturen erinnert an Blumen, die ihre Existenz beweisen, indem sie Felsen durchstoßen oder den Beton durchbrechen, mit dem die Moderne sie übergossen hat, und wieder ans Tageslicht kommen.“
- Maria Mies and Veronika Bennholdt-Thomsen, A cow for Hillary. The subsistence perspective ↩︎
- Robin Wall Kimmerer, Braiding Sweet Grass. Indigenous Wisdom, Scientific Knowledge, and the Teachings of Plants. ↩︎
- Eva Sollich, German Folk dance ↩︎
- ADM brochure „Cultural resistance“, excerpt from Abdullah Öcalan’s writings about culture. ↩︎