Das Beharren auf dem Sozialismus

Der aktuelle, historische Moment vereint alle, welche für den Sozialismus kämpfen, in einer gemeinsamen Haltung: auf dem Sozialismus zu beharren.

Sozialistische Bewegungen auf der ganzen Welt sowie Einzelpersonen oder Kreise, die sich mit dieser Frage befassen, erlebten im 19. Jahrhundert die intensivste Vielfalt an Ansichten und Debatten über den Sozialismus. Das 19. Jahrhundert gilt als das Jahrhundert, in dem der grundlegende theoretische Rahmen des Sozialismus geschaffen wurde.

Diejenigen, die sich mit dem Sozialismus beschäftigen, sind sich in der Regel in einem Punkt einig: Sie nehmen die „Aufklärung“, in der sich das Konzept des Sozialismus theoretisch zu entwickeln begann, als Bezugspunkt. Zu dieser Zeit wurden Standpunkte, die soziale Probleme in den Vordergrund stellten, als Hauptausgangspunkt akzeptiert. In dieser Hinsicht nehmen die Ansichten von Jean-Jacques Rousseau einen wichtigen Platz ein. Es muss auch erwähnt werden, dass Pierre Leroux, der vermutlich als erster zu Beginn des 19. Jahrhunderts den Begriff des Sozialismus verwendete, sowie Marie Roch Louis und Robert Owen zu den Anhängern von Henri de Saint Simon (1760–1825) gehörten.

Die industrielle Revolution und der Aufstieg der kapitalistischen Moderne verschärften Widersprüche und Konflikte, während die Denker der Zeit ihre Ansichten zum Sozialismus systematisierten und untereinander hitzige Debatten führten. Infolgedessen kam es zu einem Wendepunkt in der Entwicklung des sozialistischen Gedankenguts, sozusagen zu einer neuen Ära. Saint Simon, Robert Owen und Charles Fourier wurden nun als „Utopisten” betrachtet und als „utopische Sozialisten” definiert. François-Noel Babeuf (1760–1797), der während der Französischen Revolution von 1789 eine revolutionäre Haltung gegen die Periode des Direktoriums einnahm, wurde ebenfalls zu dieser Linie gezählt. Damit nicht genug: Diejenigen, die sich sozialistische Ansichten zu eigen machten, versuchten, ihre Ideen zu systematisieren und zu konzeptualisieren. In diesem Zusammenhang wurden diejenigen, die diese Ansichten vertraten oder mit ihnen sympathisierten, als Anhänger bezeichnet. Die Verschärfung sozialer Probleme, der Klassenwidersprüche und Konflikte führte zu einer weiteren Verbreitung und Ausweitung dieser Ideen. Die Tatsache, dass im 19. Jahrhundert zahlreiche Ideen im Namen des Sozialismus verteidigt wurden, ist selbst ein Beweis dafür.

In diesem historischen Prozess entstanden und entwickelten sich proudhonistische, bakuninistische, blanquistische, lassalleanische, bernsteinistische und marxistische Interpretationen und Bewertungen des Sozialismus. Es liegt in der Natur der Sache, dass es auch unter diesen Theoretikern und ihren Verteidigern zu intensiven und unerbittlichen ideologischen Auseinandersetzungen kam. Es wurden Argumente entwickelt und eingesetzt, um die Ideen der anderen zu widerlegen. Unzählige Artikel, Broschüren und Bücher wurden veröffentlicht. Viele Materialien, die die Debatten zwischen Marx, Bakunin und Proudhon dokumentieren, sind bis heute erhalten geblieben und dienen nach wie vor als wichtigste Referenzquellen in aktuellen Debatten. Dies zeigt sich auch deutlich in den Bewertungen zu Lassalle und Bernstein.

Die Bemühungen von Marx und Engels

Unter den Umständen des 19. Jahrhunderts verfügten diejenigen, die behaupteten, den Sozialismus zu verteidigen, auch über die Mittel, breite Teile der Gesellschaft zu erreichen. In Frankreich erlebten die Proudhonisten, in Deutschland die Lassalleaner und in England die Fabian Society eine umfangreichere quantitative Entwicklung. Die Marxisten kamen im Vergleich dazu langsamer voran, verfolgten jedoch einen qualitativ tieferen Weg. Der Einfluss der Revolution von 1848, die organisatorischen Bemühungen, die die internationale Einheit der Arbeiterklasse vorwegnahmen, ihre Offenheit für Entwicklungen, ihre politische Flexibilität und ihre Fähigkeit, sich intellektuell zu erneuern, verschafften den marxistischen Sozialisten eine vorteilhaftere Position als anderen. In diesem Sinne muss man die Bedeutung der Suche, auf die sich Marx und Engels bei der Entwicklung der Theorie des Sozialismus begaben, und ihre Offenheit für Neues erkennen.

Auch Marx‘ Ansichten zum Sozialismus müssen in diesem Rahmen betrachtet werden. Bei der Bewertung „primitiver kommunistischer” Gemeinschaften stellte Marx fest: „Hätten diese Gemeinschaften lange genug Bestand gehabt, hätten sie den Übergang zum Kommunismus vollziehen können. Denn die Produktionsmittel wurden gemeinsam genutzt, und das Grundprinzip ‚Jeder nach seinen Fähigkeiten, jedem nach seinen Bedürfnissen‘ wurde verwirklicht.“ In ähnlicher Weise äußerte er sich auch in der Zeit, in der er mit der russischen Marxistin Vera Zasulič korrespondierte: „Theoretisch gesehen kann sich die russische Landgemeinde durch die Entwicklung des gemeinschaftlichen Eigentums an Land, auf dem sie basiert, und gleichzeitig durch die Abschaffung des damit verbundenen Prinzips des Privateigentums erhalten; sie kann zu einem direkten Ausgangspunkt für das Wirtschaftssystem werden, zu dem die moderne Gesellschaft tendiert; anstatt mit Selbstmord zu beginnen, kann sie ein neues Kapitel aufschlagen; sie kann zum Besitzer der Früchte werden, die die kapitalistische Produktion der Menschheit gebracht hat, ohne das kapitalistische Regime zu durchlaufen. (…) Wenn die Revolution zum richtigen Zeitpunkt kommt, wenn die ländliche Gemeinde alle ihre Kräfte bündelt und konzentriert, um ihr volles Potenzial auszuschöpfen, wird sie sich sehr bald zu einem Element der Erneuerung innerhalb der russischen Gesellschaft und zu einem Element der Überlegenheit gegenüber den vom kapitalistischen System versklavten Ländern entwickeln.“

Die Bezeichnung „wissenschaftlicher Sozialismus”

Wenn man sich die Daten von Marx‘ Korrespondenz mit Vera Zasulič ansieht, muss man den direkten Zusammenhang mit den Erkenntnissen und Daten erkennen, die unter den Bedingungen jener Zeit entstanden. Und nicht nur in dieser Hinsicht: Als Marx in Lewis Henry Morgans Buch Ancient Society auf das Wissen und die Daten über die amerikanischen Ureinwohner stieß, fand er darin nicht nur eine Bestätigung seiner eigenen Ansichten, sondern es bereicherte auch seine Interpretationen und Bewertungen von Geschichte und Gesellschaft. Dies zeigt sich auch in dem Buch von Engels mit dem Titel „Der Ursprung der Familie, des Privateigentums und des Staats“. Marx‘ Bezeichnung seiner konzeptualisierten Ansichten als „wissenschaftlicher Sozialismus” muss als ein entscheidendes Thema betrachtet werden, das sorgfältige Aufmerksamkeit erfordert.

Marx verfolgte bei der Entwicklung seines Denksystems keinen eindimensionalen Ansatz. Er zeigte einen Ansatz, der auf der Einheit von Geschichte, Gesellschaft, Wirtschaft und Philosophie beruhte. Bei der Entwicklung des wissenschaftlichen Sozialismus stellte er dessen Verbindung zur englischen politischen Ökonomie, zur Französischen Revolution und zur deutschen Philosophie her. Er akzeptierte die politische Ökonomie, den wissenschaftlichen Sozialismus, den dialektischen und historischen Materialismus als Grundpfeiler dieser Doktrin. Darüber hinaus erkannte er die Rolle, die die Evolutionstheorie, die lebende Zelle und die Entdeckung der Energie spielten, fand ihre historische Bedeutung und formte seine Theorie durch diese Entwicklungen. Aus diesem Grund fand der wissenschaftliche Sozialismus eine breitere Akzeptanz als andere Interpretationen des Sozialismus und begann, in die Praxis umgesetzt zu werden.

Wie aus den Vorworten zu jeder neuen Ausgabe des Kommunistischen Manifests hervorgeht, war der wissenschaftliche Sozialismus stets offen für Erneuerungen und zeichnete sich durch eine intellektuelle und praktische Weiterentwicklung aus. Wie auch aus Engels‘ Werken „Dialektik der Natur“ und „Anti-Dühring“ hervorgeht, wurde ein Kampf gegen falsche Ideen und Tendenzen geführt. So blieben Marx und Engels niemals statisch oder stagnierend, sondern befanden sich stets in einem Prozess der Erneuerung. Dabei schufen sie keine Klischees oder starren Formeln. Dementsprechend wurde der Leninismus, welcher als Marxismus des 20. Jahrhunderts akzeptiert wurde, zu seiner Zeit zum Namen für die Suche nach Lösungen für die Probleme der Umsetzung des Sozialismus unter sich verändernden Weltbedingungen und führte diesen Kampf entsprechend.

Der Sozialismus spielt auch heute noch eine Rolle

Wir leben in den Jahren, in denen das erste Viertel des 21. Jahrhunderts zu Ende gegangen ist. Am Ende des 20. Jahrhunderts, als der Realsozialismus zerfiel, versuchte das System der kapitalistischen Moderne, die Welt und sogar den Weltraum nach seinen eigenen Interessen „neu zu organisieren”. Der Dritte Weltkrieg, der im letzten Viertel des 20. Jahrhunderts begann und bis heute andauert, wird als grundlegendes Instrument dieser globalen Neuordnung eingesetzt.

Marx und Lenin erfüllten ihre Aufgabe und zahlten einen hohen Preis für die Suche und den Sieg des Kampfes für den Sozialismus in ihrer Zeit. Die theoretischen, ideologischen, politischen, organisatorischen und praktischen Entwicklungen, die sie initiierten und weiterentwickelten, waren das Ergebnis davon. Sie betrachteten die Vorlagen der Vergangenheit nicht als unüberwindbar und verfolgten auch keinen religiösen oder dogmatischen Ansatz. Aus diesem Grund wurde der Marxismus, der im 19. Jahrhundert als wissenschaftlicher Sozialismus akzeptiert wurde, im 20. Jahrhundert als Leninismus akzeptiert, und beide wurden als Pioniere der historischen Entwicklung des Sozialismus anerkannt.

Auch unter den heutigen Bedingungen besteht der Sozialismus auf der Grundlage seiner Historizität weiter, und der für ihn geführte Kampf bleibt weiterhin in vollem Umfang wichtig. Heute besteht die Aufgabe der Sozialisten auch darin, sich entsprechend den sich verändernden Weltbedingungen neu aufzubauen und eine Führungsrolle zu übernehmen. So wie Marx und Engels im 19. Jahrhundert und Lenin im 20. Jahrhundert ihre historische Pflicht und Verantwortung erfüllt haben, ist es auch im 21. Jahrhundert notwendig, für den Sozialismus zu kämpfen, und dieser Kampf hat historische Bedeutung und Wichtigkeit.

Das Erbe des Kampfes für den Sozialismus

Unter den heutigen Bedingungen kann man nicht mehr von Realsozialismus sprechen, dem Begriff, der während der Breschnew-Ära für den „verwirklichten Sozialismus” im Ostblock und in der Sowjetunion verwendet wurde. Dort sind die Experimente eines staatsbasierten „Sozialismus“ gescheitert. Über diese ruinierten Experimente hinaus wurden auch in verschiedenen Regionen der Welt, diejenigen die Revolutionen durchgeführt hatten, um einen staatlich organisierten Sozialismus aufzubauen, Teil des kapitalistischen Systems. Ebenso wurden Bewegungen, Organisationen und Parteien, die staatliche Kämpfe für Unabhängigkeit, Demokratie und Sozialismus führten, in das kapitalistische System hineingezogen und konnten ihre eigene Auflösung nicht verhindern. In diesem Rahmen ist es notwendig, sowohl die sozialistischen Experimente der Vergangenheit als auch die revolutionären und sozialistischen Kämpfe heutzutage, als wichtige Erfahrungen zu betrachten, aus denen Schlussfolgerungen gezogen werden müssen. Zusammengenommen sind all dies Vermächtnisse des Kampfes für den Sozialismus. Die Aufgabe, die vor uns liegt, besteht darin, richtige Antworten auf die Frage zu geben, wie mit diesem Erbe umgegangen werden soll und wie es in den Dienst der laufenden sozialistischen Kämpfe gestellt werden kann. Die Antworten, die auf dieser Grundlage gegeben werden müssen, unterscheiden sich nicht von den Antworten von Marx, Engels und Lenin. Und wie Öcalan erklärte, lautet die Parole, die hier im Vordergrund steht: „Auf dem Sozialismus zu beharren ist auf dem Menschsein zu beharren.“

Es gibt Aspekte der verwirklichten sozialistischen Experimente, der nationalen Befreiungskämpfe und der Klassenkämpfe, die Teil der Geschichte geworden sind und zu dieser beigetragen haben. Diese können und dürfen nicht geleugnet werden. Gleichfalls kann und darf das Scheitern in anderen Aspekten nicht ignoriert werden. Wenn es Auflösung und Scheitern gegeben hat, müssen auch die Gründe dafür gesehen werden. Aus ihnen müssen richtige Schlussfolgerungen gezogen werden. Um aus der gelebten Praxis die richtigen Schlussfolgerungen zu ziehen, muss man die Gründe und Ergebnisse dieser Praxis richtig untersuchen und sie durch den Filter der richtigen Kritik und Selbstkritik laufen lassen. Der Weg zum Erfolg führt darüber. Dies ist eine der grundlegenden Aufgaben, die vor uns im Kampf für den Sozialismus stehen.

Marx und Engels kritisierten die utopischen Sozialisten, leugneten jedoch weder ihre Existenz noch ihre Beiträge. Sie akzeptierten Babeuf als einen ihrer Vorreiter. Ebenso erklärten sie, dass sie von Hegel und Feuerbach beeinflusst waren, scheuten sich jedoch nicht, diese zu übertreffen. Sie debattierten mit Proudhon und Bakunin, suchten jedoch, wenn nötig, den gemeinsamen Weg. Und zeitgleich hielten sie an den Ideen fest, die sie für wahr hielten.

Aus diesen Gründen spielten sie auch eine Vorreiterrolle bei der Verwirklichung der Revolutionen im 20. Jahrhundert. Sie gaben Dynamik den Vorrang vor Stagnation in Denken, Organisation und Handeln; sie gaben methodischer Vielfalt Vorrang. Sie handelten und kämpften gemäß der „konkreten Analyse konkreter Verhältnisse”. Wie aus ihren Bewertungen und Kritiken hervorgeht, beharrten sie selbst in den Momenten, in denen sie am stärksten herausgefordert waren, auf der richtigen und revolutionären Haltung.

Das Beharren auf dem Sozialismus gegen den Kapitalismus

Die historische Bedeutung des Augenblicks, den wir gerade erleben, liegt in einem gemeinsamen Punkt, den alle teilen, die sich zum Sozialismus bekennen und diesen Kampf führen: Das Beharren auf dem Sozialismus. Es ist sogar unnötig, darüber zu diskutieren. Dennoch gibt es Experimente des „verwirklichten Sozialismus“, die sich aufgelöst haben und gescheitert sind. Die Welt befindet sich in einem Zustand des Chaos. Das kapitalistisch-imperialistische System sieht diese Bedingungen als Chance für sich selbst und versucht, sein System der Ausbeutung und Plünderung auf dieser Grundlage neu zu organisieren. Was als Reaktion darauf getan werden muss und welche Haltung eingenommen werden muss, ist ganz klar. Es ist das Beharren auf dem Sozialismus. Grundlegend ist, wie seine Anforderungen erfüllt werden können.

Es ist nicht möglich, das Notwendige durch die Experimente und Praktiken des „verwirklichten Sozialismus” zu erreichen. Wenn man weiterhin auf dem „verwirklichten Sozialismus“ beharrt und denselben Weg weitergeht, wird sich das Ergebnis nicht ändern, es wird wieder nichts als Enttäuschung sein. Aus diesem Grund wird eine Wiederholung dessen, was bereits geschehen ist, nicht über eine Wiederholung der Vergangenheit hinausgehen. Was notwendig ist, ist keine Wiederholung, sondern eine Kraft der Lösung zu werden, indem man aus den gewonnenen Erfahrungen lernt und eine konkrete Analyse der konkreten Bedingungen durchführt. Dies erfordert eine Analyse des Prozesses, in dem wir uns befinden, eine Neudefinition der grundlegenden Aufgaben und Verantwortlichkeiten von heute und die entsprechende Umsetzung neuer Strategien, Taktiken und Instrumente. Dabei ist es notwendig, eine breitere Perspektive einzunehmen, die die Erfahrungen mit dem „verwirklichten Sozialismus“ nicht nur auf Einzelpersonen, auf begangene Fehler oder auf das, was nicht getan wurde, beschränkt. Der Ansatz, der hier in den Vordergrund tritt, betrifft die Parameter, die bei der Suche nach Lösungen priorisiert werden. Alle bisherigen Misserfolge, alle Bewertungen, Kritiken und Praktiken in Bezug auf den „verwirklichten Sozialismus” wurden auf dieser Grundlage in Frage gestellt, und am Ende wurde nicht einmal ein Quäntchen Fortschritt erzielt. Das war noch nicht alles: Zeit wurde verschwendet, Energie und Kraft gingen verloren, die Bedingungen konnten nicht genutzt werden. Und dies wurde zu einer großen Chance, einer Möglichkeit für das kapitalistische System der Moderne.

Heute ist bekannt, dass sich revolutionäre und sozialistische Bewegungen weltweit auf der Suche nach Lösungen für grundlegende Probleme befinden und dafür kämpfen. Man kann sagen, dass diese Suche und dieser Kampf nicht erst heute begonnen haben, sondern schon früher. Ausgangspunkt war die zweite Hälfte der 1960er Jahre, als revolutionäre Jugendbewegungen fast die ganze Welt erfassten und die Frage „Welche Art von Sozialismus?“ aufkam. Trotz der Tatsache, dass revolutionäre Kämpfe in verschiedenen Ländern der Welt und staatliche Sozialismus-Experimente zu Erweiterungen des Systems der kapitalistischen Moderne geworden sind, dauern diese Suchprozesse an. Sie werden zu einer Quelle der Hoffnung, Kraft und Moral für die Menschheit und die Zukunft. Wenn diese Realitäten nicht berücksichtigt werden, ist es auch nicht möglich, Öcalans „Manifest für Frieden und eine demokratische Gesellschaft“ eine ausreichende und korrekte Bedeutung zu geben.

Die theoretischen Öffnungen und Perspektiven von Öcalan

Abdullah Öcalans Manifest für Frieden und eine demokratische Gesellschaft muss innerhalb der historischen und sozialen Realität betrachtet und bewertet werden. Dies ist auch eine Forderung des Sozialismus. Wenn dies nicht geschieht, können weder die Geschichte noch die Gesellschaft verstanden werden. Die vorgebrachten Ansichten können nicht zutreffend sein; sie bleiben fragmentarisch, beschränken sich darauf, das Geschehene der Vergangenheit nachzuerzählen, und können keine Lösungen hervorbringen. In einem solchen Fall wird die Bedeutung, die sie tragen, aus ihrem Wesen herausgenommen. Das Manifest für Frieden und eine demokratische Gesellschaft muss mit einem solchen Ansatz betrachtet werden. Dieser Ansatz wird uns zu einem korrekten Verständnis und Kampf des Sozialismus führen. Jeder andere Ansatz kann nicht akzeptiert werden. Der Sozialismus ist ebenso historisch wie sozial, er ist die Gegenwart. Wie er im Manifest für Frieden und eine demokratische Gesellschaft Bedeutung erlangt, ist er die Einheit dieser beiden. Er beschreibt „die längste Dauer”, also sowohl gestern als auch heute. Die erste Gesellschaftlichkeit, die mit den Kommunen begann, und der aktuelle Kampf gegen die Zerstörung der Gesellschaft drücken diese Bedeutung aus. Wenn also die Bedeutung und Definition des Sozialismus, wie sie von Öcalan ausgedrückt wird, nicht richtig verstanden wird, wird es unmöglich, den Kampf im Namen der Gesellschaftlichkeit und die Rolle und Position derjenigen, die ihn führen, zu verstehen. Ebenso kann der fundamentale Grund, warum Marx und Engels ihre Ansichten als „wissenschaftlichen Sozialismus“ bezeichneten, nicht verstanden werden.

Jede historische Epoche und jede Übergangsphase bringt Denkrichtungen hervor, die die grundlegenden Merkmale dieser Epoche zum Ausdruck bringen. Sie verspüren das Bedürfnis, den Unterschied zwischen sich selbst und dem, was außerhalb von ihnen liegt, aufzuzeigen. Die verwendeten Begriffe und die ihnen entsprechend der übernommenen Aufgabe zugeschriebenen Bedeutungen drücken dies aus. Wäre dies nicht der Fall, könnte man den Unterschied zwischen ihnen und dem, was ihnen vorausging, sowie den Grund für ihre Existenz nicht verstehen. Selbst wenn dies in gewisser Weise wahrgenommen würde, würde es lediglich als Ergänzung oder Reflexion dessen angesehen werden, was wesentlich ist. Die Tatsache, dass Marx und Engels ihre Lehren nicht einfach „Sozialismus” oder „utopischer Sozialismus” nannten, sondern sie als „wissenschaftlichen Sozialismus” bezeichneten, findet ihren Platz in einer solchen Realität.

Kritik am Realsozialismus

Als die offiziellen Vertreter der Zweiten Internationale in die Reihen ihrer eigenen imperialistischen Bourgeoisie überwechselten, setzten die Kommunisten, um ihren Unterschied deutlich zu machen, das Wort „Kommunistisch” an den Anfang ihrer Parteinamen, was genau diese Realität zum Ausdruck brachte. Ebenso wandte die Arbeiterpartei Kurdistan (PKK) auf ihrem vierten Kongress 1990 eine ähnliche Methode an, indem sie ihre Satzung in Bezug auf die Symbole und Embleme des Realsozialismus änderte. Später machte Öcalan in seinen Analysen und Bewertungen diese Unterscheidung durch seine Kritik am Realsozialismus noch deutlicher, und mit seinen theoretischen Eröffnungen, insbesondere zu Frauen, Staat und Macht, stellte er Überlegungen vor, die über die damalige Denkweise hinausgingen. Er führte auch andere Methoden als den bewaffneten Kampf zur Lösung der kurdischen Nationalfrage ein.

Ebenso ist es verständlich, dass diejenigen, die in solchen Zeiten auf der Suche waren, den Begriffen, die sie unter den Bedingungen ihrer Zeit verwendeten, unterschiedliche Bedeutungen zu schrieben oder sich mit unterschiedlichen Begriffen ausdrückten. Bei genauer Betrachtung wird man feststellen, dass es in den Zeiten von Marx, Engels und Lenin viele solcher Beispiele gibt. Um die verwendeten Begriffe richtig zu verstehen, unabhängig davon, ob wir ihnen zustimmen oder nicht, ist es daher richtig, sie innerhalb des Bedeutungsrahmens zu bewerten, in dem sie ursprünglich verwendet wurden, und entsprechend Schlussfolgerungen zu ziehen. Auch die von Öcalan verwendeten Begriffe sollten auf dieser Grundlage betrachtet werden. Darüber hinaus ist es inakzeptabel und unethisch, sich einzelne Begriffe heraus zugreifen und sie durch demagogische Diskurse zu polemisieren.

Sowohl im Manifest der demokratischen Zivilisation als auch im Manifest für Frieden und eine demokratische Gesellschaft drückt Öcalan sehr klar die Bedeutung und die Argumentation der von ihm verwendeten Begriffe aus. Dennoch gibt es immer noch künstliche Agenden und Debatten. Das kann in keiner Weise akzeptiert werden. Was getan werden muss, ist, richtig zu verstehen, was Öcalan sagt und zu erreichen versucht, und entsprechend vorzugehen und zu kämpfen. Heute gibt es keinen anderen gangbaren Weg. Was gangbar ist, ist das Beharren auf dem Sozialismus. Die Suche nach anderen Wegen oder die Beschäftigung mit anderen Themen ist nicht nur die falsche Wahl, sondern führt auch nicht zum Sozialismus.

Realsozialismus

Zu einigen der Schlüsselbegriffe lässt sich Folgendes anmerken: Realsozialismus – dieser Begriff wurde während der Breschnew-Ära für den „verwirklichten Sozialismus” in der Sowjetunion und in den osteuropäischen Ländern mit Ausnahme Albaniens und Jugoslawiens verwendet. Mit diesem Begriff wurde hervorgehoben, dass die in diesen Ländern umgesetzten politischen Praktiken von der allgemeinen sozialistischen Theorie abwichen und sich von ihr unterschieden. Wenn dieser Begriff verwendet wurde, dachte man zuerst an diese Länder. Die Kommunistischen Parteien der Sowjetunion sowie die Kommunistischen Parteien von Ländern wie Bulgarien und Ostdeutschland beeinflussten jedoch durch ihre Beziehungen die Kommunistischen Parteien in verschiedenen Regionen der Welt, sodass auch diese als ideologische und politische Projektionen des Realsozialismus bezeichnet wurden.

Zu der Zeit, als der Begriff des Realsozialismus verwendet wurde, waren die weltweiten sozialistischen Bewegungen auch intern gespalten. Die Partei der Arbeit Albaniens (Enver Hoxha) und die Kommunistische Partei Chinas (Mao Zedong) standen in einer praktischen Konfrontation mit der Kommunistischen Partei der Sowjetunion, welche sie des Sozialimperialismus bezichtigten. Diese Konfrontation zeigte auch Auswirkungen auf die revolutionären und sozialistischen Bewegungen auf internationaler Ebene. Infolgedessen wurden kommunistische Parteien in verschiedenen Ländern, die Beziehungen zur Sowjetunion und zu osteuropäischen Ländern unterhielten, als Parteien bewertet, die unter dem ideologischen und politischen Einfluss des Realsozialismus standen.

Letztendlich brachen die Sowjetunion und die Staaten, die sich wie Albanien und Jugoslawien als Vertreter unterschiedlicher „Modelle des Sozialismus” definierten, zusammen. Die meisten kommunistischen Parteien dort lösten sich entweder auf oder versuchten, unter anderen Namen weiterzumachen. Auch diejenigen in verschiedenen Regionen der Welt, die sich gegen die Sowjetunion und den Ostblock gestellt hatten, Revolutionen durchgeführt und einen staatsbasierten „Sozialismus” versucht hatten, wurden Teil des kapitalistischen Systems. Von diesem Zeitpunkt an wurde der Realsozialismus zu einem allgemeinen Begriff für die Experimente des „verwirklichten Sozialismus”, die sich auflösten und zu Erweiterungen des kapitalistischen Systems wurden, d.h. für den staatsbasierten Sozialismus.

Unabhängig davon, welcher Begriff verwendet wird, müssen bei der Diskussion über die Experimente des staatsbasierten „verwirklichten Sozialismus”, die sich aufgelöst haben und zu einem Anhängsel des kapitalistischen Systems geworden sind, korrekte Schlussfolgerungen aus den Praktiken der Gruppen, Bewegungen und Parteien gezogen werden, die unter ihrem ideologischen und politischen Einfluss standen und denselben Weg eingeschlagen haben. Ebenso muss man sich bewusst sein, dass der Hauptgrund für ein solches Ergebnis genau der parametrische Rahmen ist, der ihre ideologische und politische Linie geprägt hat. Vor allem darf innerhalb dieser Parameter nie vergessen werden, dass der vorherrschende Ansatz ein macht- und staatszentriertes Verständnis von Revolution und Sozialismus war, zusammen mit Denkstrukturen, die die Trennungen zwischen Mensch und Natur, Primär und Sekundär, Zentrum und Peripherie, Subjekt und Objekt sowie Frau und Mann reproduzieren.

Wissenschaftlicher Sozialismus

Der wissenschaftliche Sozialismus muss völlig getrennt vom „verwirklichten Sozialismus“ betrachtet werden. Diese beiden Begriffe zu verwechseln oder ihnen ähnliche Bedeutungen zuzuweisen, wird uns niemals zu einer richtigen Schlussfolgerung führen. Im Gegenteil, es führt zu falschen Denkweisen und zu irrtümlichen politischen und praktischen Haltungen. Während sich der Begriff des Realsozialismus, der während der Breschnew-Ära in der Sowjetunion in die Literatur Eingang fand, auf die Experimente von Staaten bezog, die behaupteten, im Namen des Sozialismus zu handeln, hat der Sozialismus selbst eine breitere Bedeutung. Der wissenschaftliche Sozialismus basiert jedoch auf dem dialektischen Materialismus im Kampf um die Verwirklichung des Sozialismus. Er formuliert universelle Thesen auf der Grundlage objektiver Realität und wissenschaftlicher Fakten. Er entwickelt soziale, politische und wirtschaftliche Theorien. Der marxistische Sozialismus ist auch als wissenschaftlicher Sozialismus bekannt. Er berücksichtigt die Bedingungen von Zeit und Ort. Er gründet das materielle, wirtschaftliche und soziale Leben auf die Produktionsweise. Er betrachtet die Störung der Harmonie zwischen den Produktivkräften und den Produktionsverhältnissen und deren Umwandlung in einen Widerspruch als die Unvermeidbarkeit, zu der der soziale Wandel gelangt ist. Seit Marx wird dies als grundlegende Erkenntnis angesehen, die die Theorie und Praxis von Individuen, Parteien und Bewegungen leitet, die sich auf den wissenschaftlichen Sozialismus stützen. In diesem Sinne darf er niemals mit dem Realozialismus verwechselt werden.

Demokratischer Sozialismus

Der demokratische Sozialismus gewinnt als ideologisches und politisches Konzept an Bedeutung. Im Kern sind Demokratie und Sozialismus keine sich gegenseitig ausschließenden Konzepte. Sie besitzen eine miteinander verflochtene Einheit von Bedeutung. Daher bedeutet die gemeinsame Verwendung von Demokratie und Sozialismus als Konzept keinen theoretischen oder ideologischen Rückschritt, sondern ermöglicht im Gegenteil eine stärkere Betonung dieser Verbundenheit. Als dieses Konzept zum ersten Mal verwendet wurde, wurde es nicht anders behandelt. Engels lehnte dies nicht ab, als er den Unterschied zu den utopischen Sozialisten zum Ausdruck brachte. Es ist auch bekannt, dass sich viele marxistische Sozialisten als „demokratische Sozialisten” bezeichneten. In diesem Sinne handelt es sich nicht um ein allgemein abgelehntes Konzept. Später jedoch diversifizierte sich dieser Interpretationsrahmen entsprechend den sich ändernden Bedingungen und wurde zum Gegenstand von Polemiken. Der Grund dafür waren die Unterschiede, die im Kampf für den Sozialismus auftraten und sich auf den ideologischen und politischen Bereich auswirkten. Genauer gesagt, wurde dieses Konzept aus der allgemeinen Definition des Sozialismus herausgenommen und „spezialisiert”. Darüber hinaus wurde es verwendet, um Personen und Gruppen zu identifizieren, denen eine Abweichung vom Sozialismus vorgeworfen wurde, wodurch seine Verwendung fast zu einem „Verbrechen” wurde.

Was mit dem Konzept des „demokratischen Sozialismus“ geschah, ist nicht anders. Unter den Bedingungen, unter denen sich die sozialdemokratische und revolutionär-kommunistische Linie herausbildete, die zur Gründung der Parteien innerhalb der Zweiten Internationale führte, wurde dieses Konzept zur Beschreibung der Position einiger spezialisiert und mit einer metaphorischen Bedeutung aufgeladen, die die Sozialdemokraten charakterisierte. In diesem Rahmen wurden sie als Abweichung vom Kampf für den Sozialismus definiert, als Abdrift in das kapitalistische System der Moderne. Wie oben erwähnt, wurde der Begriff der Sozialdemokratie zu einem ideologischen und politischen Begriff, der ihren Ausschluss aus dem Sozialismus nach dem Verrat seiner offiziellen Vertreter zum Ausdruck brachte.

Wenn man die Geschichte der sozialistischen Kämpfe untersucht, stößt man auf viele ähnliche Ergebnisse. Natürlich müssen Sozialisten aus historischen Erfahrungen die richtigen Schlussfolgerungen für sich selbst ziehen. Aus der Geschichte und Erfahrung Schlussfolgerungen zu ziehen, rechtfertigt jedoch keine reduktionistischen Ansätze, die in Dogmatismus abgleiten. Im Gegenteil, es macht es notwendig, Konzepte entsprechend den sich ändernden Bedingungen zu aktualisieren, sie richtig und angemessen zu interpretieren und auf dieser Grundlage zu denken. Unter den Bedingungen, unter denen der „Realsozialismus” zusammenbrach und der „verwirklichte Sozialismus” zu einem Anhängsel des Systems der kapitalistischen Moderne wurde, wird ein solcher Ansatz sogar noch notwendiger.

Begriffen allein auf der Grundlage der Phasen, die sie durchlaufen haben, Bedeutung zu geben, sie entsprechend zu interpretieren und auf dieser Grundlage zu denken, ist nicht richtig, sondern bedeutet, zu verwechseln, was unterschieden werden sollte, oder Äpfel und Birnen auf die gleiche Waage zu legen.

Demokratischer Gesellschaftssozialismus

Der demokratische Gesellschaftssozialismus ist ebenfalls ein Konzept, das mit einer Bedeutung aufgeladen ist, in der sich die Begriffe gegenseitig ergänzen, ohne sich gegenseitig zu negieren. Die Tatsache, dass der Sozialismus auf der Grundlage von Demokratie und Gesellschaft verwirklicht wird, sollte nicht anders interpretiert werden. Im Wesentlichen beschreibt dieses Konzept die Politik, die im Rahmen des „verwirklichten Sozialismus“ in Richtung Demokratie und Gesellschaft entwickelt und umgesetzt wurde. Mit anderen Worten: Es ist die Behauptung, dass der Sozialismus nur dann Erfolg haben kann, wenn er sich auf seine grundlegenden Prinzipien stützt, angesichts des vollständig bewiesenen Scheiterns von Maßnahmen, die darauf abzielten, den Sozialismus ohne Demokratie und ohne Gesellschaft aufzubauen. Die „Union der Demokratischen Kommunen Kurdistans“ ist die verwirklichte Form des demokratischen Gesellschaftssozialismus. Die „Kommunalistische Gemeinschaftsbewegung“ ist das Blut, das den Körper mit Leben erfüllt, ihn aufrecht hält und durch seine Adern fließt.

Zweifellos erfordern diese Konzepte, die wir jeweils mit einem einzigen Satz hervorheben, eine viel umfassendere Ausarbeitung und Darlegung. Sie werden später ausführlicher erklärt und beschrieben werden. Was hier gesagt werden kann, ist, dass die Bedeutung, die diesen Konzepten beigemessen wird, keine „Aktualisierung des Marxismus“ oder des Sozialismus darstellt. Das heißt, es handelt sich nicht um die Konstruktion einer Sozialismustheorie von Grund auf. Beide Ansätze würden viele Fehler enthalten und hätten keine andere Bedeutung als eine Verschleierung, die den Blick auf das Wesentliche verhindert. Die historischen Bedingungen, unter denen der marxistische Sozialismus oder wissenschaftliche Sozialismus, wie ihn die Begründer definiert haben, entstanden ist, und die historische Rolle, die er gespielt hat, machen seine Wiederholung unmöglich; und in der Bedeutung, die der Sozialismus historisch und sozial zum Ausdruck bringt, lässt dies auch nichts dergleichen zu. Was hier verstanden werden muss, ist, ein Akteur der Existenz innerhalb des Kampfes zu werden, der auf den grundlegenden Prinzipien des Sozialismus basiert, der innerhalb seiner Geschichtlichkeit, seiner Sozialität und seiner Zeitgenossenschaft, innerhalb der „längsten Dauer” existiert.

Dieser Text erschien zuerst in der Nachrichtenagentur ANF (unter dem Titel „Sosyalizmde ısrar“ am 3. November 2025).